Den Ärger rauslassen oder in sich hineinfressen? Jeder Mensch geht mit Frust anders um. Im Interview hat Expertin Martina Pahr verschiedene Tipps parat.
"Je größer der Frust durch die äußeren Umstände, auf die wir keinen Einfluss haben - wie gerade in der aktuellen Situation - desto härter treffen uns auch die kleinen Frusterfahrungen des Alltags", weiß Martina Pahr, Autorin von "Runterkommen und Drüberstehen" (Riva Verlag). Worauf es dann ankommt? "Konstruktiv" zu reagieren, denn meistens "halten wir es für eine richtig gute Idee, uns noch tiefer in den Dreck zu wühlen, wenn wir einmal hinfallen", erklärt die Expertin.
"Das Allererste und -wichtigste ist es, zu akzeptieren, wenn man einmal in eine Frustfalle getappt ist. Dieses Gefühl ist ebenso valide wie alle anderen, und es bringt nichts, wenn wir versuchen, es zu verurteilen, zu unterdrücken, zu leugnen oder mit Ablenkung zuzuschütten. Dann wird es sich mit doppelter Gewalt an einer anderen, unerwarteten Stelle wieder in unser Leben hebeln. Und so richtig destruktiv wird es, wenn man sich selbst dafür Vorwürfe macht, dass man eben nun mal frustriert ist. Im ersten Moment darf man sich durchaus leid tun und bedauern: Das Gefühl ist da, hat seine Berechtigung und wird auch wieder gehen. Auf dieser Grundlage kann man aufbauen und frische Möglichkeiten ausprobieren, damit umzugehen, ganz individuell an Situation und Tagesform angepasst."
"In einer typischen Stresssituation werden die Hormone Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt, die uns weglaufen oder kämpfen lassen. Später kommt das Hormon Cortisol als konkreter 'Troubleshooter' zum Einsatz und senkt so den Stresslevel im Gehirn. Funktioniert top, wenn wir stresstechnisch gut aufgestellt sind - falls nicht, sind wir von diesen Hormonen dauerüberfordert und leichte Opfer für den Frust. Das Stresssystem lässt sich mit Yoga, Meditation oder autogenem Training auf Dauer besser einstellen. Bei sofortigem Bedarf kann man es aber auch mit einer Ausschüttung des Kuschelhormons Oxytocin hemmen und sich den Frust wortwörtlich vom Leibe kuscheln: sehr effizient mit gutem Sex, zur Not aber auch mit einer liebevollen Umarmung oder dem Streicheln von Haustieren."
"Dies ist ein altbewährter Frust-Hack, der in den verschiedensten Weltanschauungen, Weisheitsschulen und Wissenskomplexen bekannt ist. Sein Erfolg ist nachvollziehbar, denn er besticht durch schlichte Eleganz: Man hat überall Zugriff darauf, braucht kein Zubehör und nur ein klein wenig Übung. Dafür ganz einfach einen kurzen Moment abwarten, bevor man spontan auf einen Frustauslöser reagiert. Ob man bis zehn zählt, tief ins Zwerchfell atmet oder ans Abendessen denkt: Mit diesem Moment stellt man einen Sicherheitspuffer zwischen dem Gefühl und sich selbst her: Man hat es, identifiziert sich aber nicht mehr reflexhaft mit ihm. Die beste Voraussetzung, um zu entscheiden, ob man sich dem Frust überlassen will - oder doch lieber etwas Besseres ausprobiert."
"Frust zieht uns auf ein niedriges Energielevel - dorthin, wo auch Enttäuschung, Mangelbewusstsein und Zahnschmerzen zu Hause sind. Auf einem höheren Energielevel, wo schöne Erinnerungen, gute Düfte und Wohlfühlmomente wohnen, kann sich Frust nicht halten. Also schnell ein paar Level nach oben springen! Was am effektivsten hilft, ist ganz individuell: Bei dem einen ist es ein Gespräch mit einem lieben Menschen, bei der anderen Tanzen zur Lieblingsmusik, einige reagieren auf Humor, andere auf Erinnerungen an Erfolge, Urlaube oder lachende Babys. Wenn man einmal weiß, was zuverlässig schnell die Energie anhebt, kann man dieses Wissen jederzeit wie eine Waffe gegen Frustangriffe im Gürtel tragen. Man muss sie im Moment X dann allerdings auch ziehen..."
"Jedes Frustfettnäpfchen, in das man tritt, lässt sich auch als Trainingseinheit nutzen, und wir haben die Wahl, was wir jeweils im Augenblick trainieren wollen. An dem einen Tag fühlt es sich vielleicht gut an, beharrlich zu bleiben und die Sache bis zu einer zufriedenstellenden Lösung durchzuziehen. An einem anderen übt man lieber Flexibilität und Improvisationstalent, indem man sich einen Plan B, C oder sogar D überlegt. Vielleicht ist der Frustauslöser eine Chance, die eigene Gelassenheit zu aktivieren? Oder stärkt man lieber die eigene Geduld, indem man nichts er-, sondern einfach abwartet, ohne zu hetzen, zu verurteilen oder zu früh die Flinte ins Korn zu werfen? Merke: Wir alle haben mehr im Skill-Repertoire als nur Ärger und Enttäuschung, um auf Frust zu reagieren."
"Ein tolles Werkzeug aus dem neurolinguistischen Programmieren stellt das Reframing - die Umdeutung - dar: Ist meine Interpretation der Situation die einzig 'richtige'? Oder kann ich sie auch anders wahrnehmen? In der Frustfalle sitzend neigen wir zum Tunnelblick. Überlegen wir also unabhängig von unserer persönlichen Betroffenheit, aus welchen anderen Blickwinkeln dieselbe Situation auch betrachtet werden kann. Der Schlüssel liegt in der Wohnung - Pech für uns, Glück für den Schlüsseldienst, noch dazu eine Gelegenheit, die Nachbarn näher kennenzulernen, und auch eine Möglichkeit, zu entschleunigen, wenn wir eh schon warten müssen. Je mehr alternative Deutungsmöglichkeiten wir finden, desto leichter können wir uns vom Tunnelblick lösen."
"Mark Twain wird folgender Spruch zugeschrieben: 'Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.' Man könnte auch sagen: 'Man soll den Tag nie vor dem Abend loben - ihn aber auch nicht vor dem Abend abschreiben.' Wenn wir uns bewusst machen, dass derselbe Tag, der uns Frust, Ärger und Nerv beschert, immer auch das Potential in sich trägt, uns das schönste Geschenk von allen zu machen, wiegt der Frust nicht mehr so schwer. Wer wollte sich auch am schönsten Tag des eigenen Lebens von einer Beule im Kotflügel herunterziehen lassen? Da wir alle nicht wissen, was uns in der nächsten Stunde bevorsteht, sollten wir wenigstens bis um 23:55 Uhr warten, bevor wir die Segel streichen und 'Das Leben ist so ungerecht, immer trifft es mich!' jammern."
Das solltest du dir auch ansehen:
Mit diesen 3 Sätzen gewinnst du ab jetzt jeden Streit
Um die Anmeldung abzuschließen, bitte den Link aktivieren, den wir soeben per E-Mail verschickt haben. Keine Mail bekommen? Dann ist sie vielleicht versehentlich im Spam-Ordner gelandet.