Bei vielen Langzeitbeziehungen ist die Leidenschaft erloschen. Im Interview gibt Beziehungspsychologe Wieland Stolzenburg Tipps, wie Paare ihre eingeschlafene Beziehung wieder zum Leben erwecken können.
Nach der Honeymoon-Phase kehrt in vielen Beziehungen schnell der Alltag ein. Wie kann man damit am besten umgehen?
Wieland Stolzenburg: Um einen guten Übergang zur "normalen" Beziehung zu finden, sollten wir uns daran erinnern, dass jede Honeymoon-Phase zu Ende geht. Wenn wir uns immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass jede Beziehung ihre Höhen und Tiefen hat, können wir uns innerlich entspannen. Weil wir dann nicht in die kognitive Falle tappen und glauben, dass es mit jemand anderem schöner oder einfacher wäre. Dann fällt es uns auch leichter, uns auf das Positive zu konzentrieren und nicht nach dem Negativen Ausschau zu halten.
Außerdem hilft es, sich daran zu erinnern, dass jeder Partner die sensiblen Punkte in uns berührt, die wir aufgrund unserer Lebensgeschichte mit uns tragen - und diese sind schmerzhaft, wenn sie jemand berührt. Das spüren wir am deutlichsten nach der Honeymoon-Phase, weil plötzlich die Kleinigkeiten spürbar sind, die vorher beide nicht gestört haben. Mit dem Wissen, dass das unsere eigenen Triggerpunkte sind und sie auch ein anderer Partner berühren würde, können wir uns ebenfalls entspannen und ehrlich und wertschätzend reflektieren, was diese herausfordernden Themen mit uns und unserer Biografie zu tun haben. Dann müssen wir nicht mehr unseren Partner und sein Verhalten "bekämpfen", sondern können uns mit uns befassen - und gerne mit dem Partner darüber in Austausch kommen.
Praktisch kann dabei auch eine Routine mit dem Partner helfen, zum Beispiel abends gemeinsam auf den Tag zu blicken und einander zu erzählen, für welche drei Dinge wir heute dankbar waren, die unser Partner in unser Leben gebracht hat.
Haben Sie weitere Tipps, wie man eine eingeschlafene Beziehung wieder zum Leben erwecken kann?
Hilfreich ist es, die Routine zu durchbrechen und sich regelmäßig um die Beziehung zu kümmern. Wöchentlich eine neue Aktivität zu planen, sogenannte Zwiegespräche zu führen, uns weiterhin für den Partner zu interessieren und nicht anzunehmen, dass wir ihn schon komplett kennen. Das wirkliche Interesse am anderen, an seinem Tag, seinem Empfinden und Erleben bewirkt oft wahre Wunder. Weil es sich für niemand gut anfühlt, als selbstverständlich angesehen zu werden. Vielmehr fühlen wir uns gut, wenn wir merken, dass unser Partner an uns, unserem Leben und Wohlbefinden interessiert ist.
Sex ist für viele ein wichtiger Teil einer gesunden Beziehung. Bei vielen Paaren schläft das Intimleben nach einer Weile ein. Wie schafft man es, auch in Langzeitbeziehungen das anfängliche Feuer neu zu entfachen?
Abwechslung ist eines der Zauberworte, wenn Langeweile ins Schlafzimmer einzieht. Das können andere Stellungen sein, Sexspielzeuge oder ein romantischer Wochenend-Trip in ein Hotel, in dem man sich erst dort an der Bar "kennenlernt". Und auch hier gilt: Der offene und wertschätzende Austausch über Sexualität mit dem Partner, dem wirklichen Interesse, was dieser mag und was nicht, was er sich neu oder anders wünscht. Es könnten auch zwei Sexdates in der Woche sein, in der jeder der beiden einmal genau das rund um die Sexualität mit und von seinem Partner erfüllt bekomme, was er oder sie sich wünscht.
Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse in einer Beziehung. Wie kann es gelingen, die Bedürfnisse des Partners zu berücksichtigen, ohne selbst zurückzustecken?
Es ist wichtig, dass wir uns unserer Bedürfnisse bewusstwerden. Darüber sollten wir mit unserem Partner sprechen. Wenn wir schon lange in einer Partnerschaft sind, glauben wir häufig, dass wir unseren Partner ja eh schon gut kennen. Die Einschätzung kann stimmen, aber sie kann sich im Laufe der Zeit auch verändern, sodass wir mit falschen Annahmen durchs Leben gehen.
Oft lässt sich ein guter Umgang mit unterschiedlichen Bedürfnissen durch eine gute Kommunikation finden. Und ansonsten geht es um Abstimmung, Verhandeln und Kompromisse. Am besten bereits, wenn wir wichtige Bedürfnisse spüren und nicht erst, wenn wir kurz vor dem Explodieren sind. Erfolgreiche Beziehungen bekommen ein gutes Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen hin, sodass nicht immer nur einer seinen Willen durchsetzt, sondern beide bereit sind, auch auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen.
Hobbys, Unternehmungen mit Freunden und Co.: Wie wichtig ist es, neben der Beziehung noch ein eigenes Leben zu führen?
Wir Menschen sind alle individuell und auch unser Bedürfnis nach Autonomie, Freiheit und Freiräumen unterscheidet sich. Menschen, denen eigene Freunde, Hobbys und Unternehmungen wichtig sind, sollte diesem Bedürfnis nachgehen - solange es gleichzeitig noch genügend qualitative Paarzeit gibt. Doch auch für Menschen, die gerne immer und alles mit dem Partner teilen, ist es empfehlenswert, sich immer wieder Zeiten für sich zu nehmen, um mit der Zeit nicht in eine emotionale Abhängigkeit zu rutschen und sich zudem die Fähigkeit und Selbstständigkeit zu bewahren, Dinge auch aus eigenem Antrieb zu machen.
Wann sollte man eine Paartherapie in Betracht ziehen?
Viele Menschen überlegen sich, zu einer Paartherapie zu gehen, wenn die Beziehungskrise schon ihre Spuren hinterlassen hat. Ich vergleiche Beziehungen manchmal mit einem Garten. Wenn wir ihn pflegen, regelmäßig gießen und uns liebevoll um ihn kümmern, werden wir langfristig Freude daran haben. Schwieriger wird es, wenn wir uns erst hektisch und ängstlich um die Pflanzen kümmern, wenn diese schon halb vertrocknet sind.
Daher empfehle ich Paaren, sich regelmäßig mit der Pflanze "Beziehung" auseinanderzusetzen - schon vor einer Krise. Das ist die beste Vorbeugung. Zum Beispiel mit meinem wöchentlichen Beziehungs-Coaching per E-Mail - dem Loveletter für Paare - oder mit Büchern, regelmäßigen Gesprächen oder lieber früher als zu spät zu einer Paartherapie zu gehen. Diese ergibt insbesondere dann Sinn, wenn beide Lust darauf haben und zudem die Bereitschaft und Motivation vorhanden ist, selbst etwas zur Verbesserung beizutragen.