In Sachen Lebenszufriedenheit ist man mit Mitte 40 auf einem Tiefpunkt, sagen Soziologen. Klingt schlimmer, als es ist.
Wenn ein Mann mit silbrigem Haar seinen Porsche vor einem Straßencafé parkt und die in der Sonne sitzenden Damen abcheckt, dann, ja dann ist Midlife-Crisis. Diesen alternden Playboys hat die Mittlebenskrise ihr lustiges Image zu verdanken. In den Neunzigern wurde ziemlich viel über sie geredet, es gab eine Menge witziger Komödien im Doris-Dörrie-Stil, in denen sich nicht mehr ganz junge Männer für sehr junge Frauen zum Affen machten. Das weibliche Pendant waren die unglücklichen Hausfrauen, die – Achtung, Happy End – plötzlich eine Karriere starteten und ihren fremdgehenden Ehemann alt aussehen ließen. Irgendwann wurde es vermeintlich ruhig um die Midlife Krise. Vermeintlich. Denn all die aktuellen Psycho-Essays zum Thema "Selbstoptimierung" sind eigentlich nur eine andere Verpackung des alten Problems.
Männer laufen Marathon, kaufen sich teure Autos und fangen Affären mit Twens an, sofern der Kontostand das zulässt. Frauen greifen zu nicht weniger extremen Mitteln: Mit Botox, Personal- und Mentaltraining starten sie den Wettlauf mit der Zeit, und zwar spätestens mit 35. Gut, wer sich das leisten kann, denn die Alternative zu dieser Altersverdrängung ist im Fall der weniger Betuchten eigentlich nur die depressive Verstimmung. Millionen Menschen in der westlichen Welt bekommen sie also immer noch, die Midlife Krise mit 40. Wikipedia beschreibt sie als "einen psychischen Zustand der Unsicherheit im Lebensabschnitt von etwa 40 bis Anfang 50". Eine schwammige Beschreibung, die alles und nichts bedeuten kann. Und überhaupt: Unsicherheit. Hatten wir uns an dem Thema nicht schon in den Zwanzigern abgearbeitet?
Nein, denn diese Unsicherheit ist natürlich eine ganz andere, eine diffusere. Sie hat nichts mit den kleinen, süßen Selbstzweifeln eines Mädchens zu tun, das sich um die richtige Jeans sorgt oder dem ein falscher Satz die Schamesröte ins Gesicht steigen lässt. Diese neue Unsicherheit, sie ist nur so ein Gefühl. Es beschleicht Frauen Mitte 30 zum ersten Mal. Das Zeitfenster, in dem man noch erreichen kann, wovon man träumte, schließt sich langsam. Allerdings bleiben ja immerhin fünf Jahre, in denen man noch eine junge Frau und das Zeitfenster wenigstens gekippt ist! Man könnte ja theoretisch umsatteln, was anderes studieren, man könnte den Mann des Lebens treffen und mit ihm drei Kinder kriegen, ein bisschen Zeit bleibt noch. Aber eben immer weniger. Dieses ungute Gefühl wird leider nicht schwächer. Und mit 40 ist es plötzlich eine schauderhafte Gewissheit.
Keine Frau wird dann mehr vom französischen Kellner Mademoiselle genannt, auch nicht aus Versehen. Eine Frau mit 40 ist eine veritable Madame. Und von dieser Madame hatte sie selbst immer eine genaue Vorstellung, wie, wer und wo sie sein sollte. Vielleicht zweifache Mutter, sexy Ehegattin und Top-Anwältin dazu. Oder Bestsellerautorin. Oder Friedensnobelpreisträgerin. Aber jetzt ist er weg, der Traum von der Hammerkarriere, mit dem man sich jeden mühsamen Umweg und jedes Versagen auf dem Weg zum großen Ziel schönfärben konnte. Die höchste Stufe der Karriereleiter ist erreicht, zumindest nah, und die Million weiterhin fern. Der Traummann ist längst vergeben und die eigene Beziehung? Hat natürlich auch nicht mehr die Temperatur der "Pretty Woman"- Schlussszene. Selbst Yoga-Königinnen merken: Der Busen hängt ein bisschen mehr als früher.
Gerade war man doch noch eine Mittdreißigerin mit jeder Menge schöner Schuhe – und plötzlich ist man eine Vierzigjährige mit Kindern, aber ohne Eigentumswohnung. Die tröstliche Nachricht: Traurigkeit darüber ist natürlich angebracht und nichts, wofür man sich schämen sollte. Man nimmt endgültig Abschied von Träumen, die einen das halbe Leben begleitet haben. Wenn das kein Grund zum Trauern ist. Experten nennen diesen Moment der Lebensernüchterung "Plateau-Phase". Nach oben geht es nicht weiter. Der Gedanke "Ich könnte ja noch..." kommt einem immer seltener, weil er einem irgendwie lächerlich erscheint.
Klar, es gibt Ausnahmen. Frauen, die plötzlich noch Medizin studieren oder ihr altes Leben verhökern, um irgendwo in Thailand ihr persönliches Shangri-La zu eröffnen. Aber solche Last-Minute-Fluchten sind natürlich nur für die wenigsten praktikabel. Wohin schließlich mit dem Kind, dem Mann und der Angst vor der Lesebrille? Das alles lässt sich nicht einfach so abstreifen. Der wahre Weg aus dem Stimmungstief ist also leider meistens nicht der große Knall. Er ist langsamer, leiser, bescheidener, schmerzhafter. Er beginnt damit, sich seine Grenzen einzugestehen. Oder anders gesagt: Wer akzeptiert, dass es jetzt nicht mehr besser wird, weder mit dem Teint noch mit der Karriere, dem geht es irgendwann ganz von allein wieder gut (Studien behaupten: spätestens mit 50).
Dabei helfen vielleicht das Bild des anfangs beschriebenen alternden Playboys, der, je älter er wird, leider nichts gewinnt, sondern nur an Würde verliert, und die Fokussierung auf das, was eigentlich ziemlich gut ist im eigenen Leben. Denn eine Madame und keine Mademoiselle mehr zu sein hat ja auch jede Menge Vorteile. Das Sofa ist endlich nicht mehr von Ikea. Über die ewigen Versuche, es allen Mitmenschen von der unflexiblen Kollegin bis zum nervigen Anbaggerer recht freundlich recht zu machen, ist man lange hinweg. Und die Verantwortung für das eigene Kind, ein großes Projekt oder die Steuererklärung bringt einen längst nicht mehr ins Schwitzen. Genauso wenig wie verspätete Flieger oder andere Reisedebakel. Die Einstellung sollte folgende sein: Das Leben hat vielleicht nicht alles gebracht, von dem ich geträumt habe. Aber auf jeden Fall Erfahrungen, die mich gelassener machen. Und auf die ich stolz sein kann.
Frauen ohne Midlife-Crisis gibt es übrigens auch. Sie alle haben gemeinsam, dass sie sich über eine große Leidenschaft definieren. Entweder ist das ihr Job. Oder ihr Mutterdasein. Oder ihr Hunderettungsprojekt, ihre Flüchtlingspatenschaft, ihre Abenteuerreisen. Falls ihr also erst Mitte dreißig seid, beugt vor! Auch wenn es für die Suche nach kleinen Leidenschaften nie zu spät ist, auch nicht mit 45. Fasst Mut! Sorgen, Stress, Ärger und Unglück sind zwar in der westlichen Welt im Alter zwischen 40 und 50 so häufig wie nirgendwo sonst auf der Welt. Es gibt aber auch keine andere Region, in der sie schon bald darauf so schnell wieder verschwinden, was wohl bedeutet: Sich von ein paar Träumen einfach zu verabschieden kann ganz schön befreiend sein.