Kolumne: 100 Zeilen Liebe

Liebeserklärung an die Liebe

Das Gefühl in Sachen Liebe bleibt immer neu, egal wie alt man ist. | © Yvonne Kuschel
Das Gefühl in Sachen Liebe bleibt immer neu, egal wie alt man ist.
© Yvonne Kuschel

Weil unserem Kolumnisten seit Jahren die Herzen zufliegen: hier York Pijahns Liebeserklärung an das schönste aller Gefühle.

Ich sitze neben Felix vor einem portugiesischen Café am Hamburger Hafen – ein Freitagmorgen, man kann Möwen sehen, die im Wind stehen, als würden sie von unsichtbaren Bändern gehalten. Felix ist 41. Und mein bester Freund. Wir kennen uns vom Studium, seither hat Felix drei lange Beziehungen gehabt und ein paar kurze. Und eine Ehe, bei der ich sogar Trauzeuge war und die vor zwei Jahren zu Ende ging. Felix ist seitdem Single. Bis jetzt: „Mann, ich habe mich verliebt.“

Man kann über die Liebe sehr schwer etwas schreiben, ohne kitschig zu werden.

Vielleicht weil in den Momenten, wenn die Liebe zuschlägt, die Realität tatsächlich einen Sprung bekommt, die Farben stärker werden, das Licht anders leuchtet, sich etwas Unwirkliches in die Tage schiebt. Etwas, von dem man vergessen hat, wie es klingt, schmeckt, sich anfühlt. Bis man sich neu verliebt. Felix sieht anders aus als sonst. Das Graue unter den Augen, das in den letzten Monaten in sein Gesicht gerutscht war, ist verschwunden. Er wirkt auf eine gute Art übernächtigt, aber nicht müde, sondern lebendig. Und dann erzählt er, dass er nachts Blumen zwei Etagen hoch auf ihren Balkon geworfen habe. Von einem Schlaf-Shirt mit ihrem Geruch. Vom letzten Wochenende, das sich angefühlt habe wie ein endlos langer Tag von Freitagabend bis Montagmorgen. Von all dem Superkram, über den man hervorragend Witze reißen kann, weil er so nah am Werbefilmklischee ist. Aber von dem man weiß, dass sobald einem diese Dinge selbst passieren, es einen von den Füßen fegt. „Ich weiß ja, dass das am Anfang immer so ist, aber was soll ich sagen? Es ist tatsächlich wieder ... wie mit 17.“

Warum ich über all das schreibe? Weil ich nie gedacht hätte, dass die Liebe in meinem Freundeskreis, der mittlerweile aus Frauen und Männern um die 40 besteht, weiterhin so ein großes Thema sein würde.

Ich hatte vermutet, dass sich nach all den opulenten Hochzeiten, Kindern, aufgedeckten Affären, dramatischen Trennungen, neuen, weniger opulenten Hochzeiten, neuen Kindern, Patchwork-Familiengründungen die Liebe verwandeln würde. In eine Art Grundrauschen im Alltag. In etwas Statisches, Gebändigtes, Erwachsenes, Berechenbares, Ausgetobtes. In den Golf unter den Gefühlen. Es ist bei keinem meiner Freunde so. Es ist bei mir nicht so. Alle um mich herum strampeln, sind auf der Suche, finden, verlieren, leiden, fangen wieder an, verlieben sich, werfen sich hinein. Ringen und tanzen mit der Liebe. Es hört nicht auf, es fährt alle Regler bis zum Anschlag hoch. Meine Mutter hat einmal gesagt, dass man, egal, wie lange man lebt, in Sachen Liebe einfach kein Profi werde. Man bleibe ewig Amateur. Das Gefühl bleibt immer neu. Man macht sich jedesmal wieder vollkommen zum Deppen, man zittert und brennt. Man springt – und hofft, nicht zu zerschellen. Als mein Vater vor 14 Jahren starb, sagte meine Mutter in den Wochen nach der Beerdigung am Telefon, dass sie nicht nur trauere.

„Ich habe Liebeskummer.“ Es ist einfach und kompliziert. Und manchmal schrumpft es auf einen kleinen, leuchtenden Kern zusammen, für den es sich lohnt, alles aufs Spiel zu setzen. Als der Hollywood-Regisseur Billy Wilder in langen Nächten über das Geheimnis eines unendlich erfolgreichen Films nachgrübelte, beschloss er, einen Notizblock auf seinen Nachttisch zu legen. Für den Fall, dass ihm im Traum die Handlung für einen Film einfallen würde, der einfach jeden berühren und mitreißen würde. Wilder soll tatsächlich nachts von dieser perfekten Geschichte geträumt haben. Er soll sie notiert und dann beruhigt weitergeschlafen haben. Am nächsten Morgen standen auf seinem Notizblock drei Wörter: Boy meets girl.

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