Kolumne: 100 Zeilen Liebe

Bitte dranbleiben

Fast alle verschicken Kurznachrichten mit unzähligen Emoticons. Was aber, wenn man gernen telefoniert? | © Yvonne Kuschel
Fast alle verschicken Kurznachrichten mit unzähligen Emoticons. Was aber, wenn man gernen telefoniert?
© Yvonne Kuschel

York Pijahn gehört zu einer aussterbenden Spezies: er telefoniert gern. Blöd nur, dass er keinen mehr erreicht.

Als ich meine Freundin vor neun Jahren kennenlernte, lebte sie in Berlin. Und ich in Hamburg. Wir waren verliebt wie zwei zugekokste Frettchen. Wenn wir uns nach Stunden am Telefon alles erzählt hatten, aber noch nicht auflegen wollten, haben wir manchmal synchron denselben Film geguckt, das Telefon am Ohr. Meine Freundin liebt Actionfilme, in denen möglichst viel in möglichst kurzer Zeit kaputtgeht. Und in denen es am Ende eine Szene gibt, die meine Freundin „Jubel im Kontrollraum“ nennt. Wenn der Riesenmeteor zerstört oder die Raumkapsel heil gelandet ist. Meine Freundin hat einen Filmgeschmack wie eine Bielefelder Vorort-Videothek aus den 90ern, und ich denke an diese Telefonate wirklich gern zurück.

Seit wir zusammenwohnen, telefonieren wir tagsüber kaum noch. Wir schicken uns Kurznachrichten – was ich zunächst als das langsame Ausleiern des Gummizugs der Liebe empfand. In Wahrheit aber ist mein gesamter Freundeskreis dabei, sich vom Telefonieren zu verabschieden – und auf Kurznachrichten umzusteigen. Das ist effektiver und stört nicht bei der wichtig-wichtig Arbeit. Für mich aber sind Kurznachrichten die Hölle. Denn für einen (Zitat Freundin) „exhibitionistischen, kommunikationsgeilen Kasper“ wie mich, für den ein überfüllter Bus dank des größeren Publikums eher ein Argument fürs Telefonieren als dagegen ist, für so einen ist die vertraulich getippte Kurznachricht, die außer dem Empfänger niemand mitbekommt, wie Cellospielen mit Torwarthandschuhen. Wie sehr habe ich in der Vergangenheit das Telefonieren mit Ohrstöpseln genossen. Als ich mir das Kabel mit dem Mikro an den Mund halten durfte – wie der Chef einer Spezialeinheit, der den Zugriff befiehlt. Die Bühne, der Blick der Neider. All das: vorbei. Ich schreibe jetzt Kurznachrichten, weil es alle machen, statt lautstark zu telefonieren, wie öde.

Um mich darüber hinwegzutrösten, versuche ich, Elemente des klassischen Telefonats in die Welt der Kurznachricht zu retten.

Mithilfe der Diktierfunktion meines Handys kann ich Nachrichten auch an der Supermarktkasse laut einsprechen, statt sie leise zu tippen. Was sowohl chefig klingt als auch einen offenen, erwachsenen Umgang mit Beziehungsinterna widerspiegelt. Inklusive Satzzeichen. ICH LIEBE DICH KOMMA DU WILDE MÖHRE AUSRUFEZEICHEN. WELCHE WINDELGRÖSSE BRAUCHEN WIR FRAGEZEICHEN. Von meiner Freundin Silke, die auch zu Kurznachrichten gewechselt hat, habe ich mir den ungebremsten Umgang mit Emoticons abgeschaut. Und das generelle Hochdrehen von Gefühlen in WhatsApp-Nachrichten. Wenn ich meiner Freundin jetzt whatsappe, dass ich in einer halben Stunde nach Hause komme, hänge ich immer pulsierende Herzen, hochgereckte Daumen und Feuerwerksraketen an. Die euphorischen Antworten meiner Freundin, die sich nicht lumpen lassen will, sind voller Applaushände und Herzen, manche mit Schleife. Die Nachrichten sehen aus wie die Seiten eines Pony-Poesiealbums von 1980. Wecken aber auch das Gefühl, dass die Liebe ein ausbrechender Vulkan und die Freude aufeinander grenzenlos ist.

Sich dann in echt, ganz analog und live zu sehen ist dann manchmal eine Spur ernüchternd (aber natürlich immer noch erstklassig). Liebe in Worte zu fassen ist eine Aufgabe, an der man sich ein Leben lang abarbeitet. Ich habe das auch meiner Freundin gesagt, neben ihr sitzend, vor dem Fernseher. Sie hat erst mal nichts geantwortet. Und mir dann später eine WhatsApp geschickt. Wie fühlt sich Liebe an? Keine Emoticons, dafür drei Worte: Jubel im Kontrollraum.

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