Mein wahres Ich?

Psychologie: "Sei einfach du selbst!" – Warum der Ratschlag eher blockiert als befreit

Frau mit Cap sieht nach schräg oben ins Licht | © Getty Images/Counter
"Einfach man selbst sein" - leichter gesagt als getan?
© Getty Images/Counter

"Sei einfach du selbst!" – Ein Satz, den wir alle schon oft gehört haben. Er soll ermutigen, Authentizität fördern und uns die Angst nehmen, nicht genug zu sein. Doch paradoxerweise kann genau dieser gut gemeinte Ratschlag das Gegenteil bewirken: Uns blockieren, verunsichern und unter Druck setzen. Warum ist das so?

Warum "Sei einfach du selbst!" oft blockiert

Du stehst vor einem Date, einem Vorstellungsgespräch oder einer wichtigen Entscheidung – und dann kommt er: dieser allgegenwärtige Ratschlag. "Sei einfach du selbst!"

Auf den ersten Blick scheint der Satz harmlos oder sogar hilfreich. Doch er ist mit Vorsicht zu genießen.

 

Der Druck, "man selbst" zu sein

Der Satz "Sei einfach du selbst!" setzt uns oft unter Druck, weil er impliziert, dass es eine einzige, unveränderliche Version unseres Selbst gibt. Und dann kann man paradoxerweise genau das Gegenteil erleben: innere Unruhe und das Gefühl, nicht echt genug zu sein. Wie bin ich denn überhaupt ich selbst?

 

Man kann sich nicht darauf ausruhen, "man selbst zu sein"

Ein weiteres Problem mit "Sei einfach du selbst!" ist, dass es oft so klingt, als würde Erfolg oder Akzeptanz allein von uns abhängen. Doch das ignoriert, dass zwischenmenschliche Dynamiken von vielen Faktoren beeinflusst werden – etwa sozialen Erwartungen, Chemie oder Kontext.

Wie ein Reddit-User treffend bemerkt: Nur weil eine Person authentisch sie selbst ist, heißt das nicht, dass andere automatisch darauf positiv reagieren oder dass keine Arbeit in Beziehungen investiert werden muss.

 

Dein "Selbst" verändert sich ständig

Außerdem: Es ist völlig normal, dass man je nach Kontext eine andere Seite von sich selbst zeigt. Das "wahres Selbst" ist kein festes Ding – es ist ein Mix aus dem, was man erlebt hast, wie man sich fühlt und was man ausstrahlt oder ausstrahlen möchte.

In einem Business-Meeting verhält man sich vielleicht anders als beim Afterwork-Drink mit den Freund*innen. Bedeutet das, dass man sich verstellt? Nein. Es bedeutet, dass man anpassungsfähig ist. 

 

So findest du die Balance zwischen Anpassung und Authentizität

Sich an verschiedene Situationen anzupassen, bedeutet nicht, sich zu verstellen. Es ist ein Zeichen von emotionaler Intelligenz und sozialem Feingefühl. Authentizität heißt nicht, immer gleich zu agieren – sondern sich so zu zeigen, dass es sich für einen selbst stimmig anfühlt.

 

Checkliste für authentisches Verhalten:

✅ Fühle ich mich in dieser Situation respektiert und wertgeschätzt?

✅ Würde ich mich in einer Woche noch wohl mit meinem Verhalten fühlen

✅ Hat mir die Situation Energie gegeben oder eher geraubt?

 

Checkliste für unauthentisches Verhalten:

🚨 Du fühlst dich nach einem Gespräch erschöpft und ausgelaugt. 

🚨 Du zweifelst im Nachhinein ständig an dem, was du gesagt oder getan hast.

🚨 Du bist froh, dass es vorbei ist und möchtest die Situation in Zukunft meiden.

 

Sei anpassungsfähig, nicht aufgesetzt

Durch meine Erfahrung mit dem Schauspiel habe ich gelernt: Du kannst eine Figur nur dann authentisch spielen, wenn du einen Teil von dir selbst in sie hineinlegst. So ist das auch abseits der Bühne. Mal bin ich die ruhige Beobachterin, mal die Entertainerin, mal die Tiefgründige. Alles ist echt – nur je nach Kontext unterschiedlich ausgeprägt.

Es geht also gar nicht darum, eine starre, "wahre" Version von sich selbst zu finden, sondern sich bewusst weiterzuentwickeln und herauszufinden, welche Facetten der eigenen Persönlichkeit in verschiedenen Situationen am besten passen.

 

Weiterlesen:

Psychologin erklärt: So bleibst du freundlich, ohne dich ausnutzen zu lassen

Psychologie: 7 Gedanken, die sich selbstbewusste Menschen nie machen

Mehr zum Thema