Um das Jungfernhäutchen, auch Hymen genannt, ranken sich zahlreiche Mythen und Vorstellungen, die unsere Vorstellung von Intimität und Jungfräulichkeit prägen. Doch was steckt wirklich dahinter?
Das Hymen (oft noch "Jungfernhäutchen" genannt) ist ein dünnes, dehnbares Gewebe, das sich an der Öffnung der Vagina befindet. Der Begriff "Jungfernhäutchen" unter dem das Hymen oft noch bekannt ist, ist nicht nur veraltet sondern auch eher irreführend. Zunehmend wird auch von der "vaginalen Korona" gesprochen, wie das Hymen seit 2009 in Schweden genannt wird.
Die genaue biologische Funktion des Hymens ist nicht vollständig geklärt. Einige Forscher*innen vermuten, dass es sich um eine Art Schutzbarriere handelt, die Krankheitserreger abwehren soll, klare Beweise dafür gibt es jedoch nicht. Wie auch bei Vulvas, Penissen und anderen Körperteilen kann die genaue Form des Hymens von Person zu Person variieren. Das Hymen kann sich aber auch im Laufe des Lebens leicht verändern. Während es bei Säuglingen oft noch dicker und empfindlicher ist, wird es mit steigendem Östrogenspiegel (z.B. in der weiblichen Pubertät) dehnbarer und kann sich verschiedenen Bewegungen anpassen.
Die Form des Hymens ist sehr vielfältig und individuell. Im Allgemeinen können jedoch folgende Typen unterschieden werden:
Ringförmiges oder halbmondförmiges Hymen
Komplett verschlossenes Hymen
Mikroperforiertes Hymen
Zweigeteiltes Hymen
Siebförmiges Hymen
Die genaue Form der Teile kann nicht kontrolliert werden, da das Hymen bereits im Embryonalstadium gebildet wird. Am ehesten kann man sich das Hymen als elastisches Band oder Haargummi vorstellen:
Das Hymen ist nicht wie ein Deckel auf einem Glas. Einige sind breiter, andere schmaler, ein paar reißen beim ersten penetrativen Geschlechtsverkehr oder bei der Masturbation, andere nicht.
Kann das Hymen reißen? Die Antwort lautet Ja - und nein. Das Hymen kann sich bei verschiedenen Aktivitäten dehnen, wenn etwas daran reibt. Das kann einen leichten Schmerz oder einen Riss verursachen. Es kann dabei zu Blutungen kommen - das muss aber nicht der Fall sein.
Viele Menschen berichten, dass sie weder beim penetrativen Geschlechtsverkehr noch beim Sport ein "Reißen" oder Dehnen des Hymens gespürt haben. Selbst bei einer vaginalen Geburt kann sich das Hymen anpassen. Wie bei so vielen körperlichen Dingen sind Elastizität und Schmerzempfinden sehr individuell.
Radfahren
Sport mit hoher Intensität
Reiten
Ärztliche Untersuchungen
Verwendung eines Tampons
Häufig wird im Zusammenhang mit Sex und dem so genannten "ersten Mal" auch vom "Jungfernhäutchen" gesprochen. Dieses kann reißen, bluten, "zerstört" werden und offenbar allerlei Schmerzen und Scham mit sich bringen.
Schon der Begriff "Jungfernhäutchen" ist ein Fehlschluss mit, historisch, schwerwiegenden Folgen. Tatsächlich ist "Jungfräulichkeit" weder ein medizinischer noch ein besonders wissenschaftlicher Begriff. Die Vorstellung, die Unversehrtheit des Hymens symbolisiere die Keuschheit eines Menschen, impliziert, dass gerade Frauen und Mädchen vor der Ehe sexuell "unberührt" sein sollten. Tatsächlich ist "Jungfräulichkeit" ein soziales, kulturelles und religiöses Konstrukt, das die geschlechtsspezifische Diskriminierung von (meist) Frauen und Mädchen widerspiegelt.
Noch einmal alle im Chor: "Der Zustand des Jungfernhäutchens ist kein Beweis für sexuelle Aktivität oder deren Fehlen".
Kulturell geprägte Vorstellungen von Jungfräulichkeit, Ehre und sexueller Reinheit und ein kleines Häutchen als "biologischer Beweis" dafür setzen vor allem junge Frauen seit Jahrhunderten unter immensen Druck. Doch woher kommt die auferlegte Scham?
In verschiedenen patriarchal geprägten Kulturen und Religionen hatten (und haben) Jungfräulichkeit und "sexuelle Reinheit" einen hohen Stellenwert. Geschlechtsspezifische Diskriminierung insbesondere von Frauen und Mädchen sind das Resultat. Von Marias "unbefleckter Empfängnis" über Redewendungen wie "die Unschuld verlieren" bis hin zu Purity Rings im Disney Channel: Die Bedeutung von "Jungfräulichkeit" und die damit verbundenen Erwartungen haben sich über Jahrhunderte in Kulturen und Religionen verfestigt und beeinflussen bis heute das Verständnis von Frauen und ihrer Sexualität.
Der Brauch, nach der Hochzeitsnacht das Bettlaken auf Blut zu untersuchen, um die "erfolgreiche" Erfüllung der ehelichen Pflichten und die voreheliche Keuschheit der Frau zu überprüfen, ist nur eine Form der Kontrolle über die sexuelle Integrität von Frauen. Solche Praktiken sind ein klarer Ausdruck von Geschlechterdiskriminierung, die auch heute noch stattfindet.
Sogenannte "Rekonstruktionen" des Jungfernhäutchens ohne medizinische Notwendigkeit und sogenannte "Jungfräulichkeitstests", um die Reinheit einer Frau vor der Ehe medizinisch zu "garantieren" tragen zur weiteren Stigmatisierung bei. Die Weltgesundheitsorganisation stuft dies in ihrem Bericht übrigens als Menschenrechtsverletzung ein.
Mehr zu diesem Thema unter anderem auf der Website der WHO.
Wir lernen also: In 2000 Jahren Patriarchat kann selbst ein kleines Stück Schleimhaut zu jahrhundertelanger Fehlinformation und Diskriminierung führen. Vielleicht ist es an der Zeit, das Hymen einfach Hymen sein zu lassen - gedehnt oder ungedehnt, vorhanden oder nicht.
Wer dennoch Angst vor Schmerzen beim ersten Mal oder bei der Masturbation hat (vor allem, wenn es um Penetration geht), ist gut beraten, es langsam, mit viel Gleitgel und sowieso nur entspannt und einvernehmlich anzugehen. Eine "Entjungferung" muss übrigens nicht zwangsläufig mit penetrativem Sex einhergehen. Im Allgemeinen wird Sex immer noch oft als Geschlechtsverkehr zwischen einem Cis*Mann und einer Cis*Frau verstanden. Je nach sexueller Orientierung und persönlicher Definition von Sex muss das aber nicht so sein. Diese traditionelle Bedeutung von Sex deckt daher bei weitem nicht das breite Spektrum sexueller Aktivitäten ab, an denen Menschen beteiligt sind..
Wo Sex anfängt, entscheidest du individuell für dich.
Dass die Jungfräulichkeit anhand des sogenannten Jungfernhäutchens medizinisch nicht nachweisbar ist, wissen wenige. Und doch hält sich dieser Mythos hartnäckig. Warum können wir uns davon nicht befreien? Warum beeinflusst ein Irrglaube, eine Legende, unser Leben?
Ninve Ermagan trifft auf die Gynäkologin Mandy Mangler, die als gynäkologische Chefärztin in Berlin alles dafür tut, diesem Irrglauben ein Ende zu setzen. Sie unterhält sich mit Frauen wie Yasemin Toprak, die von ihrer streng gläubigen Familie verstoßen wurde, und trifft mit Anne Fleck eine bekennende Jungfrau. Aber auch die Männer des Berliner Vereins „Heroes“ kommen zu Wort, die mit Schulungen Menschen unterstützen, die nicht länger nach überholten patriarchalen Regeln leben wollen. Und sie interviewt die engagierte Lehrerin Sina Krüger, die es geschafft hat, dass überholte Darstellungen in Lehrbüchern für deutsche Schulen korrigiert wurden.
Dokumentation der UFA Documentary ist ab 13. Dezember in der ARD-Mediathek abrufbar.
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