Die Hamburger Autorin Alexandra Zykunov setzt sich für die Sichtbarkeit von Frauen in der Politik ein. Sie fordert unter anderem: Wer Care-Arbeit leistet, sollte seine Erwerbsstunden reduzieren dürfen - bei vollem Gehalt. Am 12. Oktober kann man die Aktivistin live beim Female Future Force Day in Berlin erleben. Einen Vorgeschmack aufs Panel gibt es hier - im Interview mit Yvonne Weiß, Leiterin Cultural Affairs bei der Funke Mediengruppe.
Yvonne Weiß: Gehen wir mal gleich in die Vollen und starten mit einem sehr intimen Thema: Sperma. In den USA ist ein neues Gel getestet worden, dass die Spermienproduktion drosselt und laut Studien gut funktioniert. Damit hätten wir die erste hormonelle Verhütungsmethode für den Mann. Das sind doch gute News für die Gleichberechtigung, glaubst du nicht auch?
Alexandra Zykunov: Jein. Die Forschung ist natürlich wichtig. Aber ich prognostiziere ähnlich wie bei der Pille für den Mann, dass dieses Gel vom Markt nicht angenommen wird. Denn plump gesagt haben Männer keinen Bock darauf, dass an ihrem Körper irgendwas gezügelt wird und ihre "heiligen" Spermien beeinflusst werden. Im Kopf vieler Männer geht bei der Formulierung "Samenproduktion drosseln" doch gleich die Alarmglocke an, und sie werden panisch: "Oh nein, ich könnte unfruchtbar werden."
Aber die Spermienproduktion wird nur gedrosselt, solange man das Gel nimmt. Nach acht Wochen wäre alles wieder normal. Komplette Zeugungskraft Schuppdiwupp wieder hergestellt.
Trotzdem. Ich befürchte, von unserer Gesellschaft ist es bereits so krass akzeptiert, dass es Frauen sind, die ihre Körper geißeln müssen mit Hormonen und Nebenwirkungen und allem Pipapo. Aber Gott bewahre, es gäbe ein Mittel, das Männer sich medizinisch reinpfeifen müssen, um ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Da sind wir mitten im Thema: Die Frau muss wieder mal machen! Geißel‘ du deinen Körper, ist ja dein Problem, solltest du schwanger werden. Die Typen können ja nichts dafür. Warum mischt sich die Medizin da überhaupt ein?
Wir feiern jeden Mann, der cool ist und Verhütung als seine Aufgabe sieht.
Auf jeden Fall. Nur es reichen halt nicht einige wenige. Die Pharmaindustrie hat keine Motivation, wenn das ein Ladenhüter wird. Und ich glaube eben, die Männer haben zu viel Angst.
Dabei sind Männerkörper viel besser erforscht durch die Medizin. Also eigentlich könnten sie sich entspannen.
Allerdings, und ich bringe hier noch einen weiteren Aspekt rein, um mal richtig für Stimmung zu sorgen. Wenn es darum geht, ungewollte Schwangerschaften zu unterbinden, ist das Problem ja nicht die Frau, sondern das Sperma des Mannes. Ohne Sperma würden Frauen nicht schwanger werden. In dem Fall müssten wir also eigentlich theoretisch sagen:Lasst uns doch kollektiv verpflichtend Vasektomien bei allen Männern ab 18 durchführen. Es handelt sich um einen minimalen, ambulanten Eingriff. Und der ist rückführbar! Wenn ein Mann soweit ist, eine Familie zu gründen, macht er es halt rückgängig, fertig, keine ungewollten Schwangerschaften mehr. Würde das aber wirklich jemand vorschlagen, gäbe es einen Aufschrei: "Wir können doch Männer nicht verpflichtend zwingen, irgendetwas mit ihren reproduktiven Organen anzustellen!" Und das stimmt, das sollten wir nicht. Da frage ich mich aber gleichzeitig trotzdem: Wir haben doch auch in zig Ländern Gesetze, die über Frauenkörper entscheiden und ihnen und ihren reproduktiven Organen sehr wohl vorschreiben per Gesetz, Schwangerschaften auszutragen. Also, ja, Freiheit über den eigenen Körper – dann bitte schön für alle Geschlechter!
Unfassbar, oder? Im Süden und im Mittleren Westen der USA sind Schwangerschaftsabbrüche inzwischen ganz oder faktisch verboten, rund zwanzig Millionen Frauen im gebärfähigen Alter sind betroffen. In Bezug auf die Gleichberechtigung habe ich immer angenommen, wir werden jedes Jahr einen kleinen Schritt weiterkommen, ich hätte nie gedacht, dass es auch in die andere Richtung, Richtung Mittelalter, wieder zurück geht.
Grundsätzlich bewegen wir uns in die richtige Richtung, aber nicht konstant und gleichmäßig. Es geht halt zwei Schritte vor, dann wieder drei Schritte zurück. Wir erleben das letzte Aufbäumen des Patriarchats. Es merkt, dass es immer liberalere Gleichstellungsgesetze und Entwicklungen gibt. Natürlich bäumen sie sich dann auf, die alten weißen Männer und die ganzen Strukturen, die nicht abgeschafft werden wollen. Ist ja natürlich, dass es da eine Gegenwehr gibt. Gäbe es sie nicht, dann hätten wir das Patriarchat bereits abgeschafft. Aber weil es immer noch existiert, gibt es diese Widerstände, das sind oft rechte und erzkonservative Strömungen.
Wenn du von einem letzten Aufbäumen sprichst, dann gehst du von einem Ende des Patriarchats aus?
Das auf jeden Fall. Meine Kollegin, Autorin und Speakerin Emilia Roig sagte neulich auch, dass sie keinerlei Zweifel daran hat. Wir sind absolut dabei, das Patriarchat abzuschaffen. Es wird hundertprozentig abgeschafft werden, die Frage ist nur wann. Historisch gesehen existiert das patriarchale System, wie wir es kennen und welches mit Kapitalismus Hand in Hand geht, im Grunde erst ungefähr 5000 bis 10000 Jahre und die Menschheit gibt es seit mehr als zwei Millionen Jahren. So gesehen ist das patriarchale System ein winzig-kleiner Bestandteil unserer Geschichte und kann locker wieder verschwinden. Ich würde es gerne noch erleben.
Dann müsste es innerhalb der nächsten 50 Jahre ungefähr passieren.
Schon für unsere Kinder wird es besser werden, aber richtig signifikant besser wahrscheinlich erst für unsere Enkel. Die werden mir dann sagen: „Krass Oma, bei euch wurde die Care Arbeit nicht bezahlt? Frauen und Männer wurden nicht gleich bezahlt? Frauen mit Kindern wurden schlechter bezahlt als Frauen ohne Kinder? Schwarze Frauen wurden schlechter bezahlt als weiße? Ihr hattet keine transparenten Quoten, so dass man diese Ungerechtigkeit beheben konnte? Da gab es keine Gesetze dagegen? Boah, ihr habt ja voll im Mittelalter gelebt“.
Was war der Auslöser für deine feministische Radikalisierung?
Mutterschaft. Ich hab’s erst da richtig verstanden. Davor war ich eine Frau, die gedacht hat, wir sind doch alle längst gleichberechtigt. Das ist alles nur eine Frage der Frauen, sollten die halt besser verhandeln. Sollten die mal ihren Typen auf den Pott setzen und ihm die Meinung geigen. Sollen die Coachings machen, wie sie selbstbewusster auftreten. Ich habe das Problem schön bei den Frauen selbst verortet und überhaupt nicht geahnt, wie strukturell diese Probleme sind.
Puh, bei mir war es genauso, genauso habe ich auch gedacht.
Wir wurden ja auch so sozialisiert. Als Mädchen kannst du alles schaffen. Du wirst deinen Weg gehen, bestimmt erfolgreich sein und das mit der Vereinbarkeit locker wuppen. Es wurde uns suggeriert, alles wäre möglich. Und dann trifft dich die harte Realität der strukturellen Diskriminierung. Durch Mutterschaft und die großen Erwartungshaltungen plötzlich an mich als Mutter von außen, die Enttäuschungen und Vorwürfe von außen: „Wie, du willst dein Kind schon jetzt in die Kita bringen? Du willst wieder Vollzeit arbeiten, dein Kind ist doch erst 2. Warum hast du denn dann Kinder bekommen? Und hast du nicht Angst, die Kindheit deiner Kinder zu verpassen?“
Solche Spitzen kamen bei mir auch von Frauen.
Von Freundinnen, von Frauen, von meiner eigenen Mama. „Alex, Karriere hin oder her, ein krankes Kind braucht seine Mama.“ Und ich habe gesagt: „Nein, Mama, ein krankes Kind braucht einen liebevollen Elternteil, aber es muss nicht der Elternteil sein mit Brüsten und Vulva, sondern es kann auch der mit Penis sein.“ Es war so anstrengend, das permanent zu hören. So habe ich begonnen zu zweifeln, nicht an mir, sondern an meinem Umfeld, und an den Strukturen.
Zumindest nicht an deinem Partner. Arbeitet der Vollzeit?
Ja, wir beide. Aber am liebsten hätte ich es, dass wir beide reduzieren, auf etwa 70 bis 80 Prozent. Aber er will nicht, aus eben seiner Sozialisation heraus. Und immer die Geld-Argumentation. Und ich sehe es nicht ein, allein zu reduzieren, und er arbeitet Vollzeit. Ich weiß, es ist kindisch und bedeutet, dass wir uns beide aufreiben. Ich könnte einfach die Klügere sein, aber nein, ich will das nicht meinen Kindern vorleben: Ich habe als Mutti reduziert und Papi arbeitet voll. Auf der anderen Seite leben wir damit unseren Kindern vor, wie sich Eltern zwischen Care- und Erwerbsarbeit aufreiben, was auch totaler Bullshit ist. Und da sehen wir es wieder, dass Vereinbarkeit keine private Verantwortung sein sollte, sondern eine gesamtgesellschaftliche. Die Gesellschaft verlässt sich ja darauf, dass Menschen Kinder kriegen, da sollten wir als Gesellschaft dafür auch aufkommen.
Das politische Ziel muss sein, dass diejenigen, die in Deutschland Care Arbeit leisten durch Kinderpflege oder durch Pflege von Angehörigen, ihre Erwerbsarbeitsstunden automatisch reduzieren dürfen – aber: bei weiterhin vollem Gehalt. Was im Umkehrschluss bedeutet: Sie leisten Care Arbeit, aber diese Care Arbeit wird ihnen bezahlt vom Staat, von den Unternehmen durch eine Care-Arbeits-Versicherungen oder wie wir es nennen wollen, in die alle einzahlen. Dahin müssen wir kommen: Solange ich Care Arbeit leiste in meinem Leben, und das ist eine zeitlich begrenzte Zeit, darf ich reduzieren bei weiterhin vollem Gehalt.
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Als Gegen-Argument wird auf jeden Fall kommen: Das können wir uns nicht leisten.
Bullshit, wir haben so viele Versicherungen, wir können auch eine Care-Arbeits-Versicherung einführen, denn wir alle profitieren von Care. Wir alle werden Care brauchen, auch kinderlose Paare brauchen Kinder, die später ihre Renten bezahlen. So funktioniert unser System. Wir brauchen Kinder als die Steuerzahler*innen von morgen. Und gleichzeitig werden wir als alte Menschen Leute brauchen, die sich um uns kümmern. Das heißt, ohne Care Arbeit funktioniert unser Wohlstand und unser wirtschaftliches System nicht. Man könnte es auch regeln über maximale Steuerentlastungen. Menschen, die pflegen und Kinder haben, kriegen radikale Steuerentlastungen dafür.
Hast du dir schon mal überlegt, in die Politik zu gehen?
Ja, das überlege ich fast jeden Tag. Tatsächlich. Aber mich hindern noch drei Dinge. Erstens, ich müsste dann meinen Beruf mehr oder weniger aufgeben, weil ich als Journalistin keiner Partei beitreten kann, das geht für mich ethisch nicht. Zweitens bin ich so ein ungeduldiger Mensch, und die ganzen ewigen Prozedere der Politik würden mich wahnsinnig machen. Und drittens, und das ist auch schon ein sehr großer Abfuck für jede Frau, die überlegt, in die Lokal- oder in die Politik zu gehen, ich habe tatsächlich sehr große Bedenken wegen des Hasses. Ich habe Angst vor Hass, weil ich eine Frau bin, und Frauen in der Politik im Schnitt deutlich mehr Hass abkriegen. Und dann bin ich auch noch eine Frau mit einem migrantischen Nachnamen und migrantischen Wurzeln. Gleichzeitig will ich mich dieser Angst auch nicht beugen.
Ich verstehe die Angst. Ich verstehe aber auch die Wut über unsere eigene Angst, weil wir dann quasi schon aufgegeben haben.
Genau und deswegen ist dieser Kampf in mir. Ich will mich nicht von der Angst leiten lassen und so dem Patriarchat in die Hände spielen, weil es dann geschafft hätte, mich mit dieser Angst schon davon abzubringen, überhaupt den Kampf aufzunehmen.
Lass uns zum Schluss wieder zum Anfang und dem Penis des Mannes zurückkommen. In deinem Buch habe ich die unglaubliche Zahl gelesen, dass es fünfmal mehr Studien zu Potenzstörungen gibt als zu PMS, dabei leiden nur 20 % aller Männer an Unfruchtbarkeit, an PMS aber 90% aller Frauen und damit nahezu alle.
Du denkst wirklich, es ist Verarsche. Auch dass die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie, die seit fast 150 Jahren existiert, bis 2018 ausschließlich von Männern geleitet wurde. Oder dass die höchste Auszeichnung für Gynäkologie erstens nach einem Mann benannt ist und zweitens auch diese bis 2022 nur an Männer verliehen wurde! Du denkst, es ist Satire und gleich kommt Jan Böhmermann um die Ecke oder Oliver Kalkofe und sagt: Haha, verarscht, versteckte Kamera. Wie absurd! Man stelle sich eine Deutsche Gesellschaft der reproduktiven männlichen Organe vor, die seit 150 Jahren ausschließlich von Frauen geleitet wird, die einen Preis vergeben, der nach einer Frau benannt ist und nur an Frauen vergeben wird.
Wie absurd wäre das? Andersherum aber ist es völlig normal.
Alexandra Zykunov wird auch als Speakerin beim FEMALE FUTURE FORCE DAY 2024 am 12. Oktober in Berlin dabei sein - und du kannst es ebenfalls! Dich erwarten spannende Programmpunkte wie Podiumsdiskussionen, Panels, Keynotes, Hot Seats, interaktive Masterclasses, Live-Podcasts, Lesungen, Networking Spaces & Career Lounges, eine exklusive Goodie Bag und vieles mehr. Neben Alexandra Zykunov werden noch über 50 weitere inspirierende Speaker*innen und Expert*innen zu den wichtigsten Themen unserer Zeit sprechen.