Mitten in der Nacht aufstehen, tagsüber die Freizeit gestalten und immer auf Abruf sein: Frisch gebackene Eltern kommen schnell an ihre Belastungsgrenzen. So können Paare dem Stress mit Kind vorbeugen.
In einer Partnerschaft steht in der ersten Zeit nur eines im Mittelpunkt: die Beziehung zueinander. Bekommen Paare ein Kind, ändert sich das jedoch mit einem Schlag. "Das soziale und private Leben, das man vorher geführt hat, wird sehr eingeschränkt und für eine lange Zeit einfach reduziert und verändert - auch nachhaltig, weil die Kinder betreut werden müssen und das zulasten der eigenen Freiheiten", erklärt Micaela Peter, psychologische Psychotherapeutin für Paar-, Familien-, Trauma- und Verhaltenstherapie.
Gemeinsam mit Ulrike Peter klärt sie im Partnerschaftsratgeber "Zweisam. Dreisam. Einsam?"* sowie in ihrem Podcast "Elternliebe" über die Schwierigkeiten einer Beziehung mit Kind auf. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt Peter die Ursachen und Umstände, die junge Eltern belasten können und gibt Tipps, wie Paare ihre Beziehung zueinander frisch halten.
Micaela Peter: Worunter frisch gebackene Eltern am meisten leiden - bei aller Liebe zu ihren Kindern - ist der Verlust der Dinge, die sie vorher als Person ausgemacht haben und die sie genossen haben. Abende mit Freunden, zum Sport gehen, in die Sauna, sich spontan verabreden oder feiern gehen. Doch mit Kind spielt sich das Kernleben oft nur noch in dieser Dreierkonstellation ab.
Peter: Frisch gebackene Mütter und Väter fühlen sich nicht mehr so frei und energetisch, wie sie es vor der Geburt gewohnt waren. Und das führt zu konkurrierendem oder neidvollem Verhalten. Paare fangen plötzlich an zu konkurrieren, zum Beispiel um Schlaf. Wer hat mehr geschlafen? Wer hatte mehr Zeit, sich draußen oder unabhängig von den Kindern frei zu bewegen? Der Mann hat Geschäftsreisen, bei denen er abends essen geht oder Freiheiten hat. Und die Mutter ist an das Haus gefesselt - oder umgekehrt.
Dreimal, viermal die Nacht wach werden und stillen zum Beispiel, das sind Dinge, die einfach an der Substanz, an der Robustheit, nagen. Schlafentzug ist ja nicht umsonst eine Foltermethode. Und wenn die Ressourcen so knapp werden, werden wir Menschen im weitesten Sinn "geizig" - was ich jetzt nicht im materiellen Sinne meine. Die Paare erleben sich dann auf eine Art, wie sie es von sich eigentlich nicht kennen. Denn plötzlich fällt es ihnen schwer, dem anderen etwas zu gönnen oder großzügig zu sein.
Die Schwierigkeit ist, dass viele das nicht reflektieren und ihre veränderte Wahrnehmung und das veränderte Verhalten nicht in den direkten Zusammenhang mit ihrer Erschöpfung und den dramatisch veränderten Lebensumständen bringen. Sie erkennen das Verhalten ihres Gegenübers und von sich selbst nicht als Symptom der Erschöpfung, sondern nehmen es als Veränderung in Wesen oder Persönlichkeit wahr und bewerten es als Beziehungsbotschaft. Das sind fatale Fehleinschätzungen. So ist es nicht. Die Erschöpfung ist primär der Treiber dafür, dass sich das Verhalten und das Wesen temporär in dieser Weise verändern.
Peter: Leider sind viele Paare nicht über diese Entwicklung aufgeklärt. Dabei wäre mit einer Aufklärung schon so viel getan. Ich finde es wichtig, dass sich Paare darauf vorbereiten, dass sich nach der Geburt ihr Leben strukturell, sozial und in jeder Lebenshinsicht verändert. Das Leben dreht sich um 180 Grad. Dann könnten Paare typische Belastungssymptome erkennen und mögliche Fehlinterpretationen vermeiden.
Statt dass die Partnerschaft geschwächt wird, können sie als Team kooperieren und gemeinsam durch diese herausfordernde Zeit gehen. Wie können wir uns am besten die Bälle zuspielen? Wie können wir unnötigen Stress vermeiden? Wie können wir mit unseren Energien haushalten und uns gegenseitig stärken? Das sollten Paare klären.
Peter: Eltern haben die Angewohnheit, zu glauben, sie müssten immer und jederzeit ansprechbar sein für die Kinder, im Standby-Modus sein. Das ist 100 Prozent verschenkte Ressource. Denn es reicht, wenn einer zurzeit ansprechbar ist. Kinder müssen nicht gleichzeitig beide Eltern als Ansprechpartner haben. Wenn Eltern dies kultivieren und lernen würden und den Kindern so früh wie möglich beibringen, dass gerade nur ein Elternteil ansprechbar ist, würde das vieles erleichtern. So nach dem Motto: Mach du einen Spaziergang, lies ein Buch oder leg dich in die Badewanne und ich übernehme die Kids.
Wenn man das einführt, bekommen beide mehr Freizeit und können ihre Batterien wieder aufladen. Mütter und Väter sollten sich kleine Regenerationseinheiten ohne schlechtes Gewissen gönnen. Eine Idee wäre auch, einen Plan einzuführen, damit jeder Elternteil einen freien Abend pro Woche hat, an dem sich ausschließlich der andere um die Kinder kümmert. Ich glaube, das ist eine wichtige Sache, die Eltern früh lernen sollen - sonst powern sie sich aus.
*Dieser Artikel enthält Affiliate-Links. Die Funke Digital GmbH erhält beim Abschluss eines Kaufs eine Provision.