Wenn zu starkes Klammern und Kontrollieren im Beziehungsalltag zu Problemen werden, kann Verlustangst die Ursache sein. Davon betroffen sind zumeist Frauen, weiß Beziehungspsychologe Wieland Stolzenburg: "Die Angst bei verlustängstlichen Menschen ist es, die Liebe und Zuneigung des Partners zu verlieren." Im Interview verrät der Experte, was es mit dem weitverbreiteten Phänomen auf sich hat und wie eine Partnerschaft trotz Verlustangst funktionieren kann.
Wieland Stolzenburg: Frauen erleben ihren Vater in ihrer Kindheit häufig als wenig oder nicht verfügbar. Sie haben oft die Erfahrung gemacht, dass er sich nicht richtig für sie interessiert, nicht genügend Zeit hat und ihnen häufig emotional nicht das geben konnte, was für sie gut gewesen wäre. Diese Erfahrung, zum Beispiel über Jahre nicht geliebt und nicht gesehen zu werden oder nicht wichtig zu sein, kann zu dieser Wunden führen.
Diese seelische Verletzung kann dann in einer Partnerschaft später im Erwachsenenleben leicht berührt werden, wenn man etwas Ähnliches spürt: Mein Partner gibt mir nicht seine volle Aufmerksamkeit, er schenkt mir zu wenig Liebe oder hat zu wenig Zeit für mich. Und schon wird die Verlustangst aktiv und schmerzt.
Stolzenburg: Die Angst bei verlustängstlichen Menschen ist es, die Liebe und Zuneigung des Partners zu verlieren und im schlimmsten Fall, den Partner aufgrund einer Trennung komplett zu verlieren. Damit einhergehend gibt es unter anderem die Angst vor Disharmonie und Konflikten in der Beziehung, vor Affären und Fremdgehen des Partners, vor zu wenig Zeit mit ihm oder dem Verlust von Einfluss und Kontrolle auf die Beziehung und den Partner.
Stolzenburg: Typische Verhaltensweisen, wenn die Verlustangst aktiv ist, sind: Klammern, den Partner kontrollieren wollen, eifersüchtiges Verhalten, dem Partner Dinge verbieten wollen, ihn zu sich herziehen wollen, ihm ein schlechtes Gewissen machen, um wieder Kontrolle zu gewinnen. Jeder verlustängstliche Mensch hat seine eigenen bewussten und unbewussten Strategien, um bestmöglich mit dem Schmerz in diesen Situationen umzugehen.
Stolzenburg: Paare sollten sich offen und ehrlich über das eigene Empfinden austauschen und dem anderen erzählen, in welchen Situationen es für sie emotional wird und was ihnen in diesen Momenten hilft und was es verschlechtert. Das sollte keine Aufforderung an den Partner sein, dass dieser sich in Zukunft genauso verhalten muss, sondern eher wie eine Gebrauchsanweisung, die er freiwillig anwenden kann - oder auch nicht. Damit kann der Partner verlustängstlicher Menschen achtsamer und rücksichtsvoller mit diesen Situationen umgehen.
Stolzenburg: Frauen sollten zunächst für sich prüfen, ob sie unter Verlustängsten leiden. Dazu habe ich einen kostenfreien Verlustangst-Test entwickelt. Das Überwinden von Verlustängsten erfordert ähnliche Schritte wie beim Überwinden von Bindungsängsten. Zunächst geht es um das Erkennen und Verstehen der eigenen Gefühls-, Denk- und Verhaltensweisen, gefolgt von dem Erlernen von neuen Bewältigungsstrategien für herausfordernde Momente in Kombination mit dem Heilen der ursächlichen alten Wunden.