Autorin Susanne Kaloff trinkt seit einem Jahr keinen Alkohol mehr und hat dabei erstaunliche Dinge gelernt – über sich und die anderen.
Letztens war ich zu einem Dinner eingeladen. Bevor alle Platz nahmen, verteilte ein Kellner Crémant. Ich war mit zwei Frauen in ein Gespräch vertieft, die beiden griffen sich automatisch Gläser vom Tablett, wir mussten unsere Konversation nicht mal unterbrechen. Der Kellner stand fragend vor mir: „Nein danke, für mich nicht.“ Ich lächelte sogar bei diesem Satz, aber er zog die Augenbrauen hoch: „Äh, gar nicht?“ Ich: „Nein, gar nicht.“
Das ist nur eine von unendlich vielen Situationen, in die ich mich selbst freiwillig bringe, seit ich vor einem Jahr aufgehört habe, Alkohol zu trinken. Oder sagen wir es so: seit ich aufgehört habe, automatisch nach Alkohol zu greifen. Ich stoppte das von einem Moment auf den anderen, weil mir aufgefallen war, wie selbstverständlich wir ihn alle konsumieren, wie er unser gesellschaftliches Leben bestimmt und wie bekloppt er mich manchmal gemacht hatte. Weder riet mir ein Arzt, weniger zu trinken, noch war ich Alkoholikerin. Ich trank genauso wie die meisten meiner Freundinnen: aus Geselligkeit, aus Langeweile, aus Unsicherheit. Ich trank im Urlaub, für den Genuss, bei Stress, zum Feiern, aus Kummer, nur so zum Spaß, zum Essen und zum Vergessen.
Das Problem mit diesem sogenannten Genussmittel ist leider, dass sein stetiger Genuss dazu führt, dass das Leben ohne irgendwann ein wenig fad wirkt. Das hat mit emotionaler Abhängigkeit zu tun. Und abhängig macht Alkohol, auch wenn wir das alle nicht hören wollen. Schon gleich gar nicht, während man gerade an einem Gläschen Merlot nippt, weswegen ich recht schnell gelernt habe, kein Fass aufzumachen und meine Klappe zu halten. Um den Superhelden nicht vom Podest zu stoßen, wird er gern niedlicher gemacht, als er ist: Sektchen, Bierchen, Pinötchen, Stößchen! Hurra, sind wir alle gut drauf. Die Methode der feuchtfröhlichen Schmerzvermeidung ist weit verbreitet, wird gesellschaftlich romantisiert, akzeptiert und sogar befeuert. Wer da nicht mehr mitmacht, gilt als Verräter.
Interessant auch, dass Alkohol so selten hinterfragt wird. Bei keiner anderen Droge muss man sich rechtfertigen, wenn man sie partout nicht will. Wann heißt es schon: „Waaas, du kokst nicht? Nicht mal ein Näschen an runden Geburtstagen?“ Bei keinem anderen Thema wird man so schief angeschaut. Vegan, glutenfrei, zuckerfrei, jede Extrawurst wird einem verziehen, alles okay, solange man munter mitsäuft. Tut man es nicht, steht man daneben wie eine von den Guttemplern und erntet aggressive Blicke. Die Kommentare reichen von: „Detoxst du etwa schon wieder?“, bis hin zu: „Aber sonst biste schon noch allen sinnlichen Vergnügungen zugewandt?“ Bin ich, ja, danke der Nachfrage, ich habe auch nicht aufgehört zu essen, bin weder dehydriert noch meide ich Sex. Das Einzige, was ich geändert habe, ist mein Umgang mit Spirituosen: Ich finde es einfach nicht mehr sexy zu trinken.
Diese klare Ansage ist allerdings nicht bei jedem willkommen. Warum bloß? Vielleicht weil wir tief in unserem Inneren wissen, dass dieses sogenannte soziale Trinken nicht ungefährlich ist. Und weil wir das insgeheim so genau wissen, schauen wir weg, geben uns ironisch und machen Scherze à la: „Noch ein Martini und ich liege unterm Gastgeber!“ Witze über Alkohol sind wie Witze über Sex, sie verraten viel über den Erzähler.
Ich wurde einsam. Nicht nur weil ich weniger ausging. Sondern weil es auch schwierig ist, die gleiche Frequenz und Stimmung zu halten mit Freunden, die einen im Tee haben. Und ich rede hier nicht vom Delirium, sondern von zwei, drei Gläsern an einem Abend. Bald konnte ich den Gags und Gesprächsfragmenten nicht mehr folgen, ich verlor sie. Vielleicht verloren sie auch mich, da war ich mir nie so ganz sicher. Ich wollte weder mir selbst noch irgendwelchen Situationen mehr mithilfe eines Rotweins entkommen, die Dinge nicht mit Unterstützung eines Crémants witziger oder weicher machen, sondern alles so erleben, wie es ist.
Wie das war? Abgesehen von ein paar Krisen: fantastisch! Und das ist es noch. Was ich gelernt habe, lässt sich nicht so leicht rückgängig machen, dafür ist der Sober-Effekt einfach zu berauschend. Ich schlafe wie ein Baby, bin gesünder als früher – ich erinnere mich gar nicht, wann ich das letzte Mal erkältet war. Auch die Aspirin gegen einen verkaterten Schädel entfällt glücklicherweise. Weshalb ich heute, abgesehen von seltenen homöopathischen Dosen von ein, zwei Esslöffeln Rotwein, noch immer nicht trinke.
Klar, jeder hat ein Recht auf Rausch, ich hingegen entschied mich für Scharfsinn in allen Lebenslagen. Es ist, als ob ein Schleier fällt und man glasklar sieht. Durch den Perspektivwechsel veränderte sich mein Blick auf die Welt. Auch jener auf Freundschaften, bei denen Alkohol früher vielleicht doch der wahre Grund unserer Zusammenkünfte war. Ich war mir nie näher und gleichzeitig den anderen nie ferner. Es kam Wut auf, meine eigene und die der anderen. Wer aus dem schunkelnden Gute-Laune-Boot aussteigt, macht sich nicht beliebt.
Ich bekam Zweifel, ob das möglicherweise nicht alles zu weit geht mit meiner Askese. Ich sah andere sich amüsieren und torkeln und stand stramm wie ein Offizier mit einer Rhabarberschorle daneben. Ich war traurig, unsicher, entdeckte meine eigene Schüchternheit wieder und war gleichzeitig so glücklich, klar zu sein bei all dem, wie selten zuvor in meinem Leben. Das Einzige, was ich kein Mal war: beduselt. Und ja, es gab Krisen, etliche. Aber es gab vor allem immer wieder, jeden Morgen, egal wie der Tag oder die Nacht auch gewesen war, die feste Überzeugung: Selbst Scheißtage sind nüchtern besser!
Susanne Kaloffs Buch zum Selbstversuch: „Nüchtern betrachtet war’s betrunken nicht so berauschend“ (S. Fischer).
Frauen sollten täglich maximal 12 Gramm Alkohol trinken. Also 0,1 Liter Wein oder 0,3 Liter Bier.
Männer trinken mehr? Vorbei. Frauen zwischen 16 und 27 Jahren konsumieren genauso viel.
Stress ist gefährlich. Der „Alkoholatlas“ des Deutschen Krebsforschungszentrums zeigt: Je gebildeter und erfolgreicher Frauen sind, umso mehr trinken sie.
Pause, bitte! Ärzte raten zu zwei aufeinanderfolgenden Abstinenztagen pro Woche.
Tatsache: Regelmäßiger Konsum gefährdet die Gesundheit und erhöht etwa das Brustkrebsrisiko.
Alles zum Thema "Gesund leben" - kleine Tipps mit großer Wirkung!