Kopfschmerzen und Migräne breiten sich aus. Wie wichtig (oder unwichtig) dafür Ernährung und Bewegung sind und welche Rolle die genetische Veranlagung spielt, erklärt ein Experte.
Der Neurologe Professor Dr. Arne May, 55, leitet die Kopfschmerzambulanz der Uni-klinik Hamburg-Eppendorf. Er kennt nicht nur die verschiedenen Kopfschmerzarten, sondern auch die neuen Behandlungsmethoden.
Die Sorge ist unbegründet. Etwa 14 Prozent der Bevölkerung haben Migräne, ein paar wenige leiden unter schwerwiegenden behandlungsbedürftigen Kopfschmerzen. Wissenschaftler kommen immer mehr zu dem Schluss, dass ein schmerzender Kopf vor allem Veranlagung ist.
Ob man anfällig für Kopfschmerzen oder Migräne ist, hat mit Faktoren wie Ernährung oder Bewegung erst einmal nichts zu tun – sondern mit der genetischen Veranlagung. Wie häufig diese Attacken auftreten, ist allerdings eine Frage der Lebensführung. Auslösefaktoren, die Trigger, können die Zahl steigern.
Ja, neben Schlafentzug und Unterzuckerung.
Natürlich gibt es niemanden, der noch nie damit zu tun hatte. Aber selbst mit Migräne muss man nicht zwingend zum Arzt gehen. Entscheidend ist nicht, ob man sie hat. Sondern wie sehr man darunter leidet.
Ab und zu Kopfschmerzen zu haben ist völlig normal. Wenn die Schmerzen aber regelmäßig auftreten, sollte man zum Neurologen gehen, um auszuschließen, dass es sich um einen Tumor, Bluthochdruck oder ein Problem mit den Nasennebenhöhlen handelt. Und wenn es primäre Kopfschmerzen sind, die direkt im Gehirn entstehen, braucht man eine exakte Diagnose. Denn die verschiedenen Kopfschmerztypen werden unter schiedlich behandelt – in 80 bis 90 Prozent der Fälle können wir helfen. Gegen Migräne und Clusterkopfschmerz haben wir ein ganzes Arsenal von Medikamenten, sowohl für die Akuttherapie als auch zur Prophylaxe.
Es gibt 240 verschiedene Kopfschmerz erkrankungen. Am häufigsten sind Migräne, Spannungs- und Clusterkopfschmerz; Letzteren erkennt man sofort. Er tritt immer nur einseitig auf, ist kaum auszuhalten; eine Attacke dauert 30 bis 180 Minuten. Oft läuft dem Patienten dabei die Nase und ihm kommen die Tränen. Der chronische Spannungskopfschmerz betrifft mehr Menschen. Jeder kennt diesen dumpf drückenden, beidseitigen Schmerz. Aber wenn er chronisch ist, kann man ihn extrem schwer behandeln. Manche haben ihn täglich. Leider wurde zu wenig darüber geforscht.
Die Betroffenen haben starke einseitige und pochende Schmerzattacken im Kopf, die oft mit Übelkeit, Licht und Lärmempfindlichkeit einhergehen. Bei der Behandlung von Migräne hat sich zuletzt viel getan. Medikamente können inzwischen gut helfen.
Ja, etwa 60 bis 80 Prozent der Patienten sind weiblich. Von Cluster und Spannungskopfschmerz sind mehr Männer betroffen. Weshalb das so ist, ist unklar.
Bei gelegentlichen Kopfschmerzen kann man bedenkenlos Schmerzmittel nehmen. Auch bei Migräne. Da sollte man ausreichend hoch dosieren, mit mindestens 600 Milligramm Ibuprofen. Wer jedoch häufiger als zehnmal im Monat Schmerzmittel nimmt, kann chronische Schmerzen bekommen. Dann sollte man etwas ändern.
Meist reichen prophylaktisch eingenommene Medikamente, manchmal ist eine Verhaltenstherapie der richtige Weg. Auch ein Schmerztagebuch kann bestimmte Verhaltensmuster aufdecken, die man korrigieren kann. Menschen mit Migräne brauchen viel Ruhe, weil ihre Gehirnzellen anders mit Energie umgehen. Allerdings fällt es ihnen schwer, Pausen zu machen, weil sie oft besonders leistungswillig und exakt sind.
Jedem Dritten hilft Akupunktur. Ich empfehle auch Sport. Immer wieder kursieren Anti-KopfschmerzDiäten. Bewiesen ist aber nur: Je dicker jemand ist, desto mehr Attacken hat er.
Viele neue Methoden nutzen die elektrische Stimulation von Nerven. Patienten mit Clusterkopfschmerz wird ein sogenannter SPG-Stimulator implantiert, um Attacken zu unterdrücken. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Genauso wie bei der Stimulation des Vagusnervs bei Migräne und Clusterkopfschmerz. Ein kleines batteriebetriebenes Gerät wird am Hals angesetzt. Allerdings gibt es dazu noch wenige Studien.
... helfen neue Immunmedikamente – Antikörper gegen den Botenstoff CGRP, den der Trigeminusnerv ausschüttet. In ersten Studien bekommen nach dieser Behandlung bis zu 20 Prozent der Patienten überhaupt keine Attacken mehr. Das Verfahren ist aber noch nicht zugelassen.
Das funktioniert bei chronischer Migräne. Allerdings sind dazu mehr als 30 Injektionen nötig, die sieben Muskeln an Kopf, Nacken und Schultern lähmen. Und man muss es regelmäßig wieder holen.
Das ist richtig, aber mit Botox ging es noch mehr Patienten besser als nur mit dem Placebo. Hohe Placebo-Effekte sind ohnehin üblich bei der Behandlung von Schmerzen. Der Beweis, dass die Psyche einen großen Einfluss hat.
In unserer Kopfschmerzambulanz nehmen wir uns Zeit, reden beim ersten Termin mindestens eine Stunde, bei den weiteren Terminen eine halbe Stunde. Das bedeutet, dass wir nur eine begrenzte Zahl von Patienten behandeln können. Wir sind auf Monate ausgebucht.
(Interview: Dr. Christina Berndt)
Wer bei Kopfschmerzen nicht gleich zu starken Schmerzmitteln greifen möchte, kann auf Alternativen zurückgreifen, wie zum Beispiel die "heiße Sieben". Das Magnesium phosphoricum sorgt dafür, dass sich die Nerven und Muskeln entspannen und der dadurch entstandene Schmerz gelindert wird.
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