Es steckt in Wein, Käse und nahezu in allem, was gut schmeckt. Aber immer mehr Menschen glauben, dass sie auf Histamin allergisch sind. Die fünf wichtigsten Fakten zur neuen Histamin-Intoleranz.
Rotwein verursache Migräne – und das, so hört man jetzt oft, liege am Histamin. Es ist in vielen Lebensmitteln enthalten, besonders in lang gereiften wie Käse und Wein, aber auch in Fischkonserven, Salami, Schinken, Tomaten, Spinat, Avocados, Sojasauce und Champagner. Doch im Gegensatz zu Gluten, Fruktose und Laktose kommt Histamin nicht nur im Essen vor, sondern auch im menschlichen Körper. Es ist ein Botenstoff, der bei allergischen Reaktionen freigesetzt wird. Hat man zum Beispiel eine Tierhaarallergie, löst Histamin schlagartig Schnupfen oder Hautreizungen aus.
Menschen, die eine Histamin-Intoleranz (HIT) bei sich vermuten, berichten von Juckreiz, Herzrasen, Menstruationsbeschwerden, Schwindel, Magen-Darm-Problemen und Migräne. Im Internet finden sich zig Erfahrungsberichte und Tipps. Dort heißt es, ein Prozent der deutschen Bevölkerung habe eine Histamin-Intoleranz, davon sind 80 Prozent Frauen. Doch Experten wie der Allergologie-Professor Thomas Fuchs aus Göttingen betonen, dass keine genauen Zahlen existieren. Und eine diagnostizierte echte Histamin-Intoleranz sei viel seltener, als angenommen wird.
Auf vielen Websites steht, Auslöser sei das Enzym Diaminoxidase (DAO), das für den Histaminabbau zuständig ist. Doch eine Studie widerlegte das: Menschen mit Intoleranzverdacht bekamen Tee ohne und mit Histamin, mal mit und mal ohne Enzym DAO. Die Ergebnisse? Widersprüchlich. Manche Teilnehmer, deren Blut und Urin niedrige Histaminwerte aufwiesen, reagierten sehr stark. Andere mit hohen Werten dagegen überhaupt nicht. Bei Wiederholung fielen die Reaktionen wiederum anders aus.
Mediziner schließen daher einen Enzymdefekt aus, wie das bei Laktose- oder Fruktose-Intoleranz der Fall ist. Die Münchner Ernährungstherapeutin Imke Reese stellt klar: „Eine Unverträglichkeit äußert sich durch eine vergleichbare Reaktion bei jedem Verzehr, aber nicht einmal als Kopf- und ein anderes Mal als Bauchschmerzen.“ Kurz: eine diffuse Faktenlage, viele Symptome – und das lässt Spielraum für Interpretationen. So kommt es, dass viele Menschen bei unklaren Beschwerden eine Erklärung im Internet suchen und schließlich bei der Selbstdiagnose Histamin-Intoleranz landen.
Grundsätzlich alle. Am besten lässt man per Ausschlussdiagnostik klären, was dahintersteckt. Bauchschmerzen können eine Nebenwirkung von Medikamenten sein. Womöglich liegt auch eine Darm- oder Hauterkrankung vor. Ernährungsexpertin Imke Reese hat beobachtet, dass oft falsch gegessen wird. Ist der Abstand zwischen Mahlzeiten sehr groß, kann das zu Blähungen führen. Isst man wenig und dann Süßes, kann der Blutzucker zu schnell ansteigen und wieder absinken – Ursache für Müdigkeit oder Kopfschmerzen. Die Hamburger Lebensmittel-Mikrobiologin Katharina Riehn sagt: „Viele Menschen hinterfragen die Inhaltsstoffe in Lebensmitteln kritisch und beobachten ihren Körper sehr genau.“ Das kann zum sogenannten Nocebo-Effekt führen. Sprich: Wer denkt, er reagiere auf Histamin im Käse, bezieht auch sein Bauchgrummeln nach dem Essen darauf.
Keine gute Idee. Wer Histamin vermeiden möchte, kann quasi nichts mehr essen. Die Lebensqualität leidet und die Ernährung wird einseitig. Außerdem gerät die Verdauung durcheinander. Um Problemen mit Lebensmitteln wirklich auf den Grund zu gehen, ist ein individueller Ernährungsplan nötig. Er wird auf die Untersuchungsergebnisse beim Arzt und Ernährungsberater abgestimmt.
Zunächst mit dem Hausarzt die Symptome abklären. Bleibt das ergebnislos, einen Facharzt konsultieren: Gastroenterologen, HNO-Arzt oder Dermatologen. Finden die Experten nichts, einen Allergologen aufsuchen. Ist eine Nahrungsmittelunverträglichkeit wahrscheinlich, kann ein Ernährungsberater weiterhelfen. Der empfiehlt normalerweise, ein genaues Ernährungs- und Symptom-Tagebuch zu führen. Zwei, drei Wochen lang schreibt man auf, was man isst – und welche Beschwerden auftreten. Auf dieser Basis wird ein individueller Ernährungsplan erstellt.
Lange galten Bluttests, Urin- oder Stuhlproben, die den Histamingehalt messen, als aussagekräftig. Heute weiß man: Daraus lassen sich keine relevanten Schlüsse ziehen. Es gibt also definitiv kein Testverfahren, das eine Histamin-Intoleranz zuverlässig nachweisen könnte. Sie lässt sich allenfalls mit einer sorgfältigen Diagnostik feststellen. Interessant ist dabei die psychologische Komponente. Viele Leute lassen sich „ihre“ Histamin-Intoleranz nicht nehmen – obwohl sie ausgeschlossen wurde. Das Dilemma: Patienten vertrauen eben oft eher ihrem Gefühl und Dr. Google als medizinischen Fakten.
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