Warum fühlen sich gerade Frauen verpflichtet, Eltern und Schwiegereltern im Alter zu pflegen? Familientherapeutin Birgit Lambers erklärt, wie man sich richtig kümmert, ohne sich dabei selbst zu überfordern.
Keiner beschäftigt sich gern mit dem Thema, doch irgendwann werden die Eltern alt und brauchen Hilfe. Die Familientherapeutin Birgit Lambers liefert in ihrem Buch „Wenn die Eltern plötzlich alt sind“ (Kösel) Anregungen, wie man der Aufgabe gerecht werden kann – ohne selbst vor die Hunde zu gehen.
Trifft uns das Thema wirklich so unerwartet?
Ja, oft wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Solange die Eltern zur young silver generation gehören, ist es unvorstellbar, dass sie auf einmal wirklich alt sind.
Wann wird einem das richtig bewusst?
Meist wenn einer der beiden krank wird oder stirbt. Erst in so einer Situation sehen die Kinder, wie viel Hilfe bereits nötig ist. Man weiß ja nicht, ob die Eltern beim Duschen noch klarkommen oder ihre Wäsche bewältigen. Wenn das Ganze zu funktionieren scheint, ist die Welt in Ordnung.
Was halten Sie davon, die Mutter, den Vater oder beide bei sich aufzunehmen?
Das sollte man sich genau überlegen. Die durchschnittliche Pflegezeit liegt derzeit bei 8,2 Jahren, dazu kommen Demenzerkrankungen, die es in diesem Ausmaß früher nicht gegeben hat. Eine Frau sagte mir: „Hätte ich gewusst, dass ich jahrelang weit über meine Grenzen gehen muss, hätte ich mir meine Kraft besser eingeteilt.“
Man könnte sich doch zusätzliche Hilfe ins Haus holen.
Ich kenne einen Fall, da war es für die Tochter selbstverständlich, ihre schwer kranke Mutter zu sich zu nehmen. Sie meinte, mit der Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes würde sie das schon schaffen. Doch nach dem Tod der Mutter wurde dann ihr Mann zum Pflegefall, sie kümmerte sich 14 Jahre lang um ihn.
Klingt ziemlich tragisch ...
... ist aber leider oft Realität. Bevor Sie der Mutter also etwas versprechen, sollten Sie überlegen, ob Sie das können – und wollen. Womöglich ist es besser, über Alternativen zu sprechen. Etwa eine Krankenschwester oder ein Heim.
Der Großteil der Pflegebedürftigen wird nach wie vor in der Familie betreut. Warum fühlen sich gerade Frauen verpflichtet, ihren Eltern zu helfen?
Unsere Mütter und Großmütter haben uns das vorgelebt. Oft höre ich Sätze wie „Mich fragt ja keiner, ich muss es halt machen“.
Was spricht dagegen?
Unsere veränderten Lebensbedingungen. Heute sind mehr Frauen berufstätig und die Menschen werden viel älter. Wir sind die erste Generation, die mit einem Problem konfrontiert ist, das es so noch nie zuvor gegeben hat. Die Frauen stoßen an ihre Grenzen und suchen die Schuld dann bei sich. Sie strengen sich noch mehr an und kollabieren irgendwann.
Wie soll man damit umgehen, wenn Eltern das Thema ignorieren?
Sprechen Sie über sich. Sagen Sie, dass Sie sich Sorgen machen. Aber reden Sie Ihren Eltern kein Problem ein – bis zu einem gewissen Grad haben sie auch ein Recht auf Unvernunft. So wie Sie über manches hinwegsehen sollten. Untersuchungen zeigen übrigens, dass Menschen, die sich für fitter halten, als sie tatsächlich sind, ihren Alltag länger allein bewältigen können.
Es ist nicht immer leicht, sich rauszuhalten. Wie vermeidet man, dass sich Eltern bevormundet fühlen?
Wir versetzen uns oft nicht in ihre Situation. Es ist nicht schön, etwas nicht mehr zu können. Aber Jüngere neigen dazu, Gespräche mit Vorwürfen zu beginnen. „Unverantwortlich, in deinem Alter Auto zu fahren!“ Die Eltern widersetzen sich aus Prinzip, weil über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Eine Mutter machte sich bei mir mal Luft: „Ich kann mich auf meine Tochter verlassen, aber dass sie mir ungefragt Milch und Zucker in den Kaffee rührt, ist demütigend für mich.“
Aber was, wenn meiner einst pingeligen Mutter der Haushalt entgleitet?
So lange nicht gravierende Hygienedefizite da sind, hält man sich besser raus.
Und wenn die Grenze überschritten ist und sie das nicht einsehen möchte?
Dann wechseln Sie das Thema und sprechen es beim nächsten Mal wieder an. Sie können natürlich auch Fakten schaffen, wie der Mann, der im Keller seiner Eltern heilloses Chaos entdeckte – und eine Haushaltshilfe engagierte. Inzwischen ist die Frau sehr wichtig für die Eltern geworden, sie fahren sogar gemeinsam zum Kaffeetrinken. Verwahrlosen Menschen, kann das auch ein Anzeichen für Demenz sein. Am besten, man holt den Hausarzt mit ins Boot. Er hat einfach eine andere Autorität.
Wie bringe ich das Thema Heim ins Spiel, ohne die Eltern zu verletzen?
Ich kenne Fälle, da ist es gelungen, Vater oder Mutter in ein Altenheim zum Mittagessen zu bewegen. Sie hatten dann kein Problem mehr, später dort einzuziehen. Behaupten Eltern: „Das brauchen wir noch lange nicht“, versuchen Sie’s mal so: „Ich weiß, aber bitte tut es für mich. Wir sollten darüber nachdenken, falls der schlimmste Fall eintritt.“ Das ist ein Türöffner: weil Eltern meistens nicht wollen, dass ihre Kinder unglücklich sind.
Richtig schwierig wird das Ganze, wenn alte Konflikte wieder hochkommen.
Allerdings. Wer in der Kindheit verletzt wurde, hat im Lauf des Lebens Wege gefunden, sich abzunabeln und den Kontakt auf einem erträglichen Level zu halten. Benötigen Eltern nun Hilfe, gibt es wieder mehr Berührungspunkte und alte Themen kommen wieder hoch. Hat man auch noch das Gefühl, als Kind nicht genügend Liebe gekriegt zu haben, fällt es einem ungleich schwerer, sich fürsorglich um die Mutter zu kümmern.
Und dann?
Lernen Sie – vielleicht mit therapeutischer Hilfe –, der Mutter oder ihrem Vater zu verzeihen. Oder Sie entscheiden sich gegen die Unterstützung. Dazwischen gibt es nichts! Manchmal verändern sich ältere Menschen auch durch Krankheiten. Eine verzweifelte Tochter berichtete mir, wie aus ihrer fröhlichen, gütigen Mutter eine egoistische, übellaunige Person geworden war. Das kann einen schon zermürben. Mein Rat: Befreien Sie sich von Regeln und denken Sie an sich selbst.
Birgit Lambers ist Management-Coach, seit 2010 bietet die Sozialpädagogin Seminare zum Altern der Eltern an – eine Marktlücke.