Weil einen der Zufall zusammenführt, man gemeinsam eine Krise meistert und sich gegensetig bereichert. Warum Freunde das Beste sind, was uns passieren kann.
Sie verstehen sich sofort, als sie sich zum ersten Mal sehen: 2004 bei einem Autorennen am Norisring. Zwei selbstbewusste Frauen, die schnelle Autos lieben. Sie reden, lachen, schmieden bald Pläne – private und berufliche – und beschließen zusammenzuarbeiten: Jasmin Gerber, die damals noch Rubatto heißt, ist mit dem Rennfahrer Timo Scheider liiert und managt ihn, Julia Loder kümmert sich fortan um das Marketing. Die Frauen fallen auf. Beide verbindet der Mut, ungewöhnliche Ideen umzusetzen – ohne Rücksicht auf die ungeschriebenen Gesetze des Motorsports. Sie sind ein erfolgreiches Team, das Leute mitreißen kann. Und das eine Energie ausstrahlt, die auf andere provozierend wirkt. Irgendwann entstehen Gerüchte, es werden Intrigen gesponnen: Ob sie ein Verhältnis haben? Dann zerbricht Jasmins Beziehung zu Timo Scheider – und plötzlich sind beide ihre Jobs los. Eine schwierige Zeit. Julia Loder zieht sich acht Wochen lang zurück. „Diese Krise“, sagt sie heute, „hat uns fester zusammengeschweißt.“ Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Jasmin Gerber kommt gerade aus den Flitterwochen, sie hat geheiratet – einen Mann, von dem Julia vom ersten Moment an wusste: Der ist es. Natürlich war sie Trauzeugin. Julia Loder arbeitet immer noch als Marketing-Fachfrau, Jasmin Gerber inzwischen als Hotelmanagerin, beide haben Familie. Ihre Freundschaft beschränkt sich heute aufs Private. Die beiden stehen sich nah, immer noch. Wenn nicht noch näher.
Man könnte die beiden glatt für Mutter und Tochter halten. Ragni Guenther, 71, ist geschieden und hat eine erwachsene Tochter. Sabine Klein, 34, arbeitet für eine Kosmetikfirma. Aber all das ist zweitrangig. Was die beiden verbindet, ist die Einstellung zum Leben. Ragni findet die Frauen in ihrem Alter nicht mehr beweglich genug. Sabine klagt, das Leben der Mittdreißigerinnen sei so durchgeplant, dass für Spontanes kein Raum ist. Es ist das Unkomplizierte, das sie aneinander mögen. Und, was sie auch sagen: „Wir sind keine Konkurrentinnen.“ Sie verabreden sich und reden viel über das, was ihnen guttut. Nicht so sehr über Probleme, sie möchten sich diese Leichtigkeit bewahren. Ein typisches Gespräch der beiden geht so: Ragni erzählt, dass man das Gesicht immer von unten nach oben eincremen sollte, niemals umgekehrt. Sabine grinst und sagt: „Mach ich sofort, wenn ich mit 71 dann so aussehe wie du.“ Kennengelernt haben sie sich vor sechs Jahren, als Sabine ihre Wohnung an Ragni für kurze Zeit untervermietete. Sie überlegten, wie man sie einrichten könnte, und verstanden sich so gut, dass sie beschlossen, noch was zu kochen. Aus solchen Beiläufigkeiten können sich die beständigsten Freundschaften entwickeln.
„Meine Kinder haben es so gut gehabt“, sagt Alice Absmann, „nur weil sie etwas weiter westlich geboren sind.“ Die 55-Jährige lebt mit ihrem Mann in Salzburg. Die Geschwister Rojin, 27, und Rohat Mohammad Amin, 29, sind aus dem syrischen Hasaka hierhergeflüchtet. Die drei lernen sich im vergangenen Sommer im Deutschkurs kennen. Sie fallen Alice Absmann auf, weil sie so alt sind wie ihre eigenen Kinder, aber auch wegen ihrer Offenheit. Und doch ist da auch eine Melancholie spürbar: Sie haben Heimweh. Alice Absmann will den beiden helfen, in der neuen Welt anzukommen. Sie geht mit ihnen in die Berge, in Kaffeehäuser, zum Rupertikirtag, der in Tracht in der Altstadt gefeiert wird. Rojin und Rohat laden Alice zu sich ein, zeigen ihr die kurdische Tracht, die Mutter der beiden kocht syrische Spezialitäten. Mittlerweile hat Rohat einen Job
in einer Tankstelle und wohnt in einem kleinen Apartment, Rojin lebt noch bei den Eltern. Beide sprechen inzwischen gut Deutsch und das Heimweh lässt langsam nach. Mit Alice Absmann gehen sie weiterhin wandern und Kaffee trinken. Die beiden, sagt Alice, seien mittlerweile Teil ihres Freundeskreises. „Ich habe über Rojins und Rohats Welt genauso viel erfahren wie die beiden über meine.“
Maren ist 18, als sie mit Max zusammenkommt und Maria kennenlernt, seine Mutter. Vom ersten Moment an entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine intensive Beziehung. Abends sitzen sie stundenlang auf Marias Terrasse, trinken Wein und reden. Sie seien sich sehr ähnlich, sagt Maria. „Söhne suchen sich ja oft Frauen, die ihren Müttern gleichen.“ Maren sagt: „Ich hatte sofort großes Vertrauen zu Maria. Ich wusste, sie würde mich notfalls im Keller verstecken und nicht fragen, warum.“ Nach viereinhalb Jahren trennt sich das Paar und Maren hat Angst, nun auch Maria zu verlieren. „Das Tolle an Maria ist“, sagt Maren, „dass sie sich nie auf eine Seite geschlagen hat.“ Sie könne sie immer noch in allen Lebenslagen um Rat fragen, bei Liebeskummer oder Jobfragen. Aus Rücksicht auf Max treffen sich die beiden heimlich. Acht Jahre geht das so. „Maren war halt die Schwiegertochter, die ich gern gehabt hätte“, sagt Maria. Seit Kurzem haben sie Schluss gemacht mit den Heimlichtuereien, Max hat entspannt reagiert. Er hat seit zwei Jahren eine neue Freundin – und auch Maren ist längst wieder liiert. Langsam wird es Zeit, den Mann Maria vorzustellen.
Sie müssen sich nichts beweisen. Sie rufen sich nicht regelmäßig an und wissen doch, dass sie fest miteinander verbunden sind. Sich aufeinander verlassen können, immer. Gefunden haben sie sich auf Twitter, 2009, als die Plattform noch recht neu ist und wenige Mitglieder hat. Kommunikationsberaterin, fünf Kinder, steht in Susanne Westphals Profil. Das gefällt Maren Martschenko, 44, genauso wie deren Tweets. Sie schreibt sie an, Susanne, 46, antwortet. Sie tauschen sich über ihre Arbeit und das Leben in Patchwork-Familien aus und haben das Gefühl, sich schon ewig zu kennen. „Twitter ist ein authentisches Medium“ , sagt Susanne Westphal, weil es einen kurzen, schnellen Austausch erfordere. Hinter den 140 Zeichen sieht sie eine schlaue, herzliche und eigenwillige Frau und fühlt sich bestätigt, als sie sich schließlich treffen, bei einem „Twittagessen“ in München. Maren Martschenko lebt hier. Susanne Westphal wohnt in Hamburg. Sie wiederholen das Treffen und die Gespräche über Karriere und Alltag vertiefen seitdem eine Freundschaft, die die meiste Zeit virtuell gepflegt wird. Beide sind zu beschäftigt, um sich häufiger zu sehen. Also lesen sie gegenseitig ihre Blogs, Tweets und Newsletter und beobachten, was die andere umtreibt. Susanne ist mittlerweile an den Chiemsee gezogen. Die Freundinnen telefonieren, wenn es nötig ist. Bei wichtigen Entscheidungen, in Krisenzeiten oder wenn es was zu feiern gibt. Seelenverwandtschaft sei das, sagt Susanne. Eine Twitter-Lovestory, sagt Maren.
(Text: Lisa Frieda Cossham, Gabriela Herpell)