Immer mehr Frauen entscheiden sich dazu, die Pille abzusetzen und pillenkritische Statements häufen sich, Deutschlands gängigstes Verhütungsmittel ist in Verruf geraten. Zu Recht?
Entweder werden sie bejubelt oder gehasst, Ikonen teilen oft dasselbe Schicksal. Warum sollte es dieser kleinen Tablette also anders ergehen, dem Medikament, bei dem man sich den Zusatz „Antibaby“ sparen kann? "Die Pille" reicht, und jeder weiß, was gemeint ist. 1960 kam das Hormonpräparat in den USA und ein Jahr später in Deutschland auf den Markt, es gilt als Sinnbild der sexuellen Befreiung von Frauen. Endlich konnten sie selbst über ihre Fruchtbarkeit bestimmen. Tschüss, Kalender-Rechnerei, tschüss, Coitus interruptus. Kind oder Karriere – das entschied man jetzt selbst. Und wenn der richtige Zeitpunkt für ein Baby gekommen war, brach man den nächsten Blister eben nicht an.
Es war so simpel, dass man hätte misstrauisch werden können, findet Sabine Kray. War die Emanzipation wirklich so einfach zu haben? Die Berlinerin hat vor einer Weile einen pillenkritischen Artikel im Netz veröffentlicht. Mehr als eine halbe Million Menschen haben ihn an einem einzigen Tag gelesen, er wurde tausendfach geteilt. Daraus ist das Buch „Freiheit von der Pille“ (Tempo Verlag) entstanden – Sabine Krays „persönliche Unabhängigkeitserklärung“. Die 33-Jährige kann der Pille nichts abgewinnen: „Ihre angeblichen Vorteile empfinde ich nicht als positiv.“ Dabei hielt sie das Medikament mal für eine gute Sache, nahm es 17 Jahre lang. Erst danach merkte sie, welchen Einfluss das Hormonpräparat auf ihren Körper hatte.
Die Autorin ist medizinischer Laie, wie viele, die jetzt Kritik üben: Bloggerinnen oder Soziologinnen wie Katrin Wegner („Die Pille und ich“, C.H. Beck). Sabine Krays Position ist in mancher Hinsicht radikal – dazu später mehr –, aber sie fällt auf fruchtbaren Boden: Irgendwann setzt bei den Frauen ein Unbehagen darüber ein, dass man seinen Zyklus über Jahre oder gar Jahrzehnte durch künstliche Hormone unterdrückt. Informiert man sich dann genauer über mögliche Nebenwirkungen – Thrombosegefahr, Brustkrebs, Libidoverlust, Migräne, Depressionen –, wird aus Pillenmüdigkeit schnell Pillenskepsis.
Mit rund sieben Millionen Nutzerinnen ist sie in Deutschland zwar immer noch das gängigste Verhütungsmittel. Aber während sie etwa 70 Prozent der 20- bis 30-Jährigen nehmen, sinkt der Anteil ab Anfang 30 auf circa 40 Prozent, auch weil dann das Thromboserisiko steigt. Seit es eine entsprechende Anweisung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gab, müssen Frauenärzte und -ärztinnen ihre Patientinnen darüber besser aufklären.
Kai Bühling ist Professor für Gynäkologische Endokrinologie und leitet am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Hormonsprechstunde. Er berät dort auch zum Thema Verhütung und hat beobachtet: „Durch Berichte über Todesfälle im Zusammenhang mit der Pille hat die Verunsicherung unter Frauen zugenommen.“ 18 solcher Verdachtsfälle mit Todesfolge verzeichnet das BfArM seit dem Jahr 2000 allein für Kombinationspillen mit dem Wirkstoff Drospirenon, weitere 500 Fälle für Thromboembolien, also Blutgerinnsel, die zum Beispiel Herz oder Lungengefäße verstopfen. In der Kritik stehen vor allem Pillen der dritten und vierten Generation, sogenannte Mikropillen, die Östrogene und Gestagene kombinieren.
Seit dem Jahr 2015 wissen das nicht nur Ärzte und Medizinexperten, sondern auch viele Frauen. Da wurden erste Klagen gegen einen Pharmakonzern bekannt, den Hersteller gleich mehrerer verdächtiger Präparate, darunter „Yasmin“, „Yaz“ und „Yasminelle“. Frauen wie Felicitas Rohrer und Kathrin Weigele, die beide eine Mikropille einnahmen und lebensbedrohliche Lungenembolien erlitten – sie protestieren seit einigen Jahren bei der Hauptversammlung des Konzerns. 2015 veröffentlichte die Techniker Krankenkasse den „Pillenreport“, mit dem Ergebnis: Niedergelassene Frauenärzte würden die Medikamente zu leichtfertig verschreiben, vor allem jüngeren Frauen, die sich davon ein besseres Hautbild erhoffen – als gäbe es keine andere Möglichkeit, Pickel und Akne zu behandeln.
„Manche Kollegen klären nicht optimal auf, weil die Zeit knapp ist in der Praxis“, räumt Kai Bühling ein, weist aber auch auf die komplizierte Faktenlage beim Thema Thrombose hin. So wird eine Studie der Uni Kopenhagen oft als Beleg für den Zusammenhang Pille und Thrombose herangezogen. Doch die sei nicht eindeutig, weil die Daten nur rückwirkend erhoben werden. Kai Bühling will das Risiko nicht klein reden und sagt trotzdem: „Wenn eine Frau gesund ist und in dieser Hinsicht keine Vorgeschichte hat, spricht erst mal nichts gegen die Pille.“ Genauso sieht es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Deutschlands oberste Behörde für die Zulassung und Überwachung von Medikamenten. 2013 stellte man dort nach der letzten großen Risikobewertung fest, „dass bei allen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva der Nutzen die Risiken überwiegt“.
In Zahlen bedeutet das: Zwei von 10 000 Frauen, die nicht hormonell verhüten und nicht schwanger sind, entwickeln eine Thrombose. Bei Pillennutzerinnen sind es je nach Wirkstoffkombination fünf bis zwölf. Für jede dieser Frauen ist das eine Tragödie, insgesamt sei die Thrombosegefahr dennoch sehr gering, betonen die Experten. Gleichzeitig fordern sie weitere Studien, vor allem für neuere Kombinationspräparate. Und für bestimmte Risikogruppen bleibe die weitverbreitete Mikropille grundsätzlich tabu.
Wer selbst schon eine Thrombose hatte oder einen Fall im engen Familienkreis, wer unter Migräneattacken leidet, raucht oder Übergewicht hat, sollte ein anderes Verhütungsmittel wählen. Darauf weisen inzwischen auch die Hersteller in den Beipackzetteln hin, genau wie auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Kai Bühling zufolge steigt es durch die Pille um 24 Prozent. Wie bei der Thrombose könnten auch hier Faktoren wie eine genetische Veranlagung die Wahrscheinlichkeit erhöht haben, was sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lasse. Anders gesagt: Die Pille kann Krankheiten auslösen und Nebenwirkungen haben – gedämpfte Stimmung, Migräneattacken und Libidoprobleme. Sie treten aber nicht zwangsläufig auf.
Man muss das so deutlich sagen, weil Kritik an der Pille schnell fundamental wird. Statt depressiver Stimmung ist dann von Depressionen die Rede, statt Libidoproblemen von Libidoverlust. Bei Sabine Kray liest sich das so: „das Sexleben ruiniert“, „biopolitische Kontrolle“, „Manipulation von Frauen“. Ihre radikale Haltung erklärt sie wie folgt: „Es gibt gute Gründe, die Pille zu nehmen, und weniger sinnvolle. Mit guten Gründen werden wir seit Jahrzehnten von den Medien und der Pharmaindustrie versorgt.“ Über die weniger guten müsse man nun auch endlich sprechen. Und im Fall der Fälle eben die Pille absetzen.
Sabine Kray und anderen Kritikerinnen geht es um die feministische Perspektive: „Frauen wurde lange vermittelt, dass ihre Körper unauffällig zu sein haben. Da ist die Pille natürlich verlockend: keine Menstruationsschmerzen, keine starke Monatsblutung, und man muss sie nur runterschlucken.“ Genau das schätzt man im persönlichen Alltag. Für die Sache der Frauen aber, findet Sabine Kray, habe sich das als Nachteil erwiesen: „In den 1960ern öffnete sich die Gesellschaft für die weibliche Sexualität und weibliche Belange. Dann kam die Pille. Und weil Verhütung so unauffällig funktionierte, gab es scheinbar keine Notwendigkeit mehr für einen Dialog.“ Man könne also auch sagen, dass eine sehr gute Entwicklung durch die Pille ein frühes Ende gefunden habe. Was viele nicht wissen: Zwei US-amerikanische Frauenrechtlerinnen spielten dabei eine große Rolle. Margaret Sanger und Katharine Dexter-McCormick unterstützten ab 1951 maßgeblich die Forschung von Männern wie Carl Djerassi und Gregory Pincus und halfen dabei, die Pille rasch zur Marktreife zu bringen.
Dass das Thema heute so kontrovers diskutiert wird, hängt auch mit dem Zeitgeist zusammen, dem kritischen Konsumverhalten. Wer hinterfragt, was er isst oder trägt, fragt sich irgendwann auch, welchen Einfluss ein Hormonpräparat auf den Körper hat. Sabine Kray verhütet inzwischen nur noch natürlich, nutzt Thermometer und Kalender. Wenn andere Frauen lieber die Pille verwenden, habe sie damit kein Problem, „solange diese Frauen über mögliche Risiken wirklich informiert werden“. Doch viele würden sichere Verhütung immer noch mit der Pille gleichsetzen, obwohl es gute Alternativen gebe. Eine Einschätzung, die der Mediziner Kai Bühling teilt. Er kann verstehen, dass man die Pille absetzt: „Ich würde das aber immer mit dem Frauenarzt absprechen und nachfragen, welche Möglichkeiten sich sonst noch anbieten, um eine sichere Verhütung zu gewährleisten.“
Hormonspirale („Hormonschirmchen“): Bleibt bis zu fünf Jahre in der Gebärmutter. Geringeres Thromboserisiko, da weniger Hormone im Blut. Ähnliche Nebenwirkungen wie Mikropillen: Kopfschmerzen, Libidoprobleme, unreine Haut, Stimmungsschwankungen. Pearl-Index: 0,16.
Hormonstäbchen: Für drei Jahre in die Armbeuge implantiert. Thromboserisiko: geringer als bei Mikropillen, höher als bei Hormonspiralen. Mögliche Nebenwirkungen: identisch. Pearl-Index: 0–0,08.
Vaginalring: Bleibt 21 Tage in der Scheide, nach der Entnahme kommt es zur Regelblutung. Durch Kombi aus Östrogen und Gestagen ähnliche Nebenwirkungen wie bei Mikropillen. Pearl-Index: 0,4–0,65.
Kupferspirale: Bleibt bis zu zehn Jahre in der Gebärmutter. Kann Regelblutung und Schmerzen verstärken. Entzündungen möglich. Pearl-Index: 0,3–0,8.
Symptothermale Methode: Kombiniert Temperaturmessung, Kalendermethode und Beobachtung von Körpermerkmalen. Einige Zyklus-Apps arbeiten damit. PearlIndex bei konsequenter Anwendung und Sex-Verzicht an fruchtbaren Tagen: 0,4–2,3.
(Pearl-Index Pille: 0,1–0,9)