Wie wird man Mutter, ohne jemals schwanger gewesen zu sein? Indem man sich für ein Pflegekind entscheidet
Ich bin seit acht Jahren Mutter eines jetzt zehnjährigen Jungen. Er war nie in meinem Bauch, es gab keine neun Monate Zeit der Vorbereitung. Sondern irgendwann eines Abends beim Kochen die Frage von meinem Freund: "Wie wäre es, wenn wir diesen Jungen bei uns aufnehmen?" Diesen Jungen. Er war damals zwei Jahre alt und in einer sogenannten Bereitschaftspflegefamilie. Das Jugendamt seiner Stadt war auf der Suche nach einer dauerhaften Pflegestelle für ihn. Davon hatte mein Lebensgefährte zufällig gehört. Er und ich steckten mit Anfang 30 mitten in der klassischen Paardebatte: Kinder - ja oder nein? Jetzt? Später? Wer wird seine Arbeitszeit reduzieren? Wie teilen wir alles auf? Das war im März 2005. Im Oktober 2005 marschierte ein kleiner blonder Junge durch unsere Wohnungstür.
Das halbe Jahr zuvor war geprägt von nächtelangen Gesprächen, zu zweit, mit Freundinnen, Freunden, Verwandten. Wir waren seit zehn Jahren zusammen. Wir fühlten uns bereit, ein Kind groß zuziehen. Aber waren wir auch bereit dafür, vom Jugendamt durchleuchtet zu werden? Bereit für ein möglicherweise traumatisiertes Kind und eine höchst wahrscheinlich nicht ganz einfache Herkunftsfamilie? Die ihr Kind vielleicht zurückhaben wollte?
Unsere gesamte Beziehung wurde infrage gestellt und wäre zweimal fast zerbrochen. Während die meisten im Freundeskreis Feuer und Flamme waren ("Wer, wenn nicht ihr!"), kam von meiner Mutter der Kommentar: "Glaub nicht, dass ich die Oma spiele. Das ist ja nicht mein Fleisch und Blut."
Schlussendlich bewarben wir uns um eine Dauerpflege für diesen Jungen beim zuständigen Jugendamt. Wir ließen Führungszeugnisse und Finanzen prüfen, unsere Wohnung checken und besuchten Seminare mit anderen Bewerbern. Nach dem Okay des Jugendamts begann die sogenannte Anbahnung. An einem Freitagnachmittag fuhren wir zu Toms Kurzzeitpflegefamilie, in der er seit neun Monaten lebte.
Was ist das für ein Gefühl, auf einen neugierigen, fröhlichen Jungen zu treffen, der viel jünger wirkt als zwei und ein aktives Vokabular von vielleicht 30 Wörtern hat? Die Kinder in unserem Freundeskreis sprachen mit zwei Jahren wie Marietta Slomka. Und was für ein Gefühl, eine Familie mit zwei leiblichen Kindern kennenzulernen, die alle Tränen in den Augen hatten, weil Tom bald weg musste?
Wir haben auf dem Heimweg nicht gesprochen. Zu Hause haben wir uns angesehen und genickt. Und dann ging alles rasend schnell. Wir haben Tom noch dreimal besucht und währenddessen sein Zimmer eingerichtet, mit unseren Chefs geredet und versucht, uns so gut wie möglich vorzubereiten. Er verbrachte einen Testtag bei uns. Und dann haben wir ihn abgeholt. Ich werde das Bild nie vergessen: Tom saß in seinem neuen Kinderstuhl, trank Apfelschorle, futterte in einem Höllentempo sein Mittagessen, grinste uns an. Er hatte scheinbar keine Angst. Ich umso mehr.
Es ist schwer zu beschreiben, wie es ist, von jetzt auf gleich diese Verantwortung zu tragen. Nachts aufzustehen, wenn das Kind weint. Seine Windeln zu wechseln. Immer verfügbar zu sein. Die urplötzliche Fremdbestimmung war für mich schwer zu ertragen. Während mein Freund in seiner Vaterrolle aufging, hatte ich zu kämpfen. Morgens zog ich mir gedanklich ein Mutterkostüm an, abends wieder aus. Erst wenn Tom schlief, konnte ich mich entspannen. Das ist übrigens heute noch so. Ich weinte bittere Tränen, als wir "Papa" für eine Dienstreise zum Flughafen brachten (nach drei Wochen hießen wir "Mama" und "Papa"). Ich, allein mit dieser riesigen Verantwortung? Ich bat Freundinnen, mich zu besuchen. Erst nach vier Monaten fühlte ich mich sicher mit meinem Kind. Noch sehr viel länger hat es gedauert, bis der Begriff "Mutter" etwas mit mir zu tun hatte. Wann bin ich eine? Welche Kriterien muss ich erfüllen, um eine zu sein? Muss ich überhaupt? Mein Freund konnte kaum nachvollziehen, warum ich mich so schwertat. Es lief ja alles super. Nach gefühlten drei Millionen vorgelesenen Kinderbüchern war Tom sprachlich gut aufgestellt. Er begann - trotz seiner Vorgeschichte -, sich ganz auf uns einzulassen. Er bekam einen Platz in einer tollen Kita. Er fand schnell Freunde, über die auch wir neue Freunde fanden. Tom hatte, typisch für Pflegekinder, anfangs Schwierigkeiten zu unterscheiden, wo unsere kleine Familie beginnt und wo sie aufhört. Beim Verwandtschaftstreffen, zu dem wir ihn mitnahmen, saß er auf jedem Schoß, fiel jedem um den Hals. Alle waren begeistert von dem charmanten, zutraulichen Jungen. Für Ernüchterung sorgte dann unsere Erklärung seiner Distanzlosigkeit: Ein Kind, das nicht immer genug zu essen und zu trinken gehabt hatte, muss sich mit allen Erwachsenen gut stellen, weil Erwachsene potenziell Nahrung und Schutz bereithalten. Bis zum heutigen Tag beruhigt es Tom, zu wissen, dass noch mindestens eine Portion Nudeln im Topf auf ihn wartet.
Tom wird bald elf. Er besucht die 5. Klasse eines Gymnasiums. Wer es nicht weiß, würde nie vermuten, dass er nicht unser leibliches Kind ist. Darauf bin ich stolz. Warum eigentlich? Weil er nicht wie so viele Pflegekinder Schulprobleme hat? Weil ich mich unbemerkt unter die "normalen" Familien mischen kann? Oft sehne ich mich danach, wie alle anderen zu sein. Ohne Fremdbestimmung, ohne Bezahlung, mit nur einem Namen an der Tür. Ohne die vielen Fragen. Tom kann selbst entscheiden, wem er was über sich und uns erzählen will. Er kennt seine Geschichte, er trifft alle sechs Wochen seine leiblichen Eltern und ab und zu seinen großen Bruder. Er hat viele Freunde und ist Stammspieler in seiner Fußballmannschaft.
Ich habe viel gelernt in den letzten acht Jahren. Ich habe gelernt, dass Toms leibliche Eltern keine herzlosen Monster sind, wie es in Fällen wie diesem oft heißt. Sie haben versucht, ihr Bestes zu geben, doch es hat einfach nicht gereicht und sie haben schlimme Fehler gemacht - wie sie heute selbst sagen. Ihr Schmerz, ihre Trauer machen mich demütig und dankbar für das, was ich als Kind erfahren durfte und heute weitergeben darf. Ich habe gelernt, dass in Jugendämtern nicht nur Schlafmützen sitzen, sondern viele engagierte, professionelle Menschen, die ihrer enormen Verantwortung bestmöglich gerecht werden wollen. Ich habe gelernt, dass ich nie die Vollblutmutter sein werde, die ich gehofft hatte, zu sein. Trotzdem kann ich mich sehr gut um mein Kind kümmern. Außerdem habe ich jede Geduld Paaren gegenüber verloren, die per Reproduktionsmedizin verzweifelt versuchen, schwanger zu werden. Warum muss Elternschaft die Weitergabe des eigenen genetischen Codes bedeuten? Die größere Sicherheit, dass "alles gut geht", halte ich für einen Trugschluss. Keine Eltern, die ein Kind bekommen, wissen wirklich, was sie erwartet.
Tom bei uns aufzunehmen war die bisher schwerste Entscheidung für mich. Und sie war goldrichtig. Sie stiftet Sinn, weil es mich glücklich macht, mein Kind glücklich zu sehen - und wir etwas dazu beigetragen haben. Sie strengt immer mal wieder tierisch an. Sie erlaubt uns, für ein Kind vieles besser zu machen und Türen zu öffnen, die sonst verschlossen geblieben wären. Dafür bleiben bei uns andere zu.
Autorin: Ursula Fischer (Name von der Redaktion geändert)
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