Was bleibt nach 15 Jahren Ehe? Hier schreibt ein Mann seiner Frau kurz vor dem Scheidungstermin.
Liebe Marie,
vor einigen Tagen habe ich Dich besucht. Ich bin die Straße entlanggelaufen, in der Du jetzt lebst, und habe meinen Namen auf einem fremden Klingelschild gesucht. Da habe ich begriffen, wie viel geschehen ist im vergangenen Jahr. Du hast mich verlassen. Und in wenigen Wochen werden wir geschieden. Nach 15 Jahren. Ich hab Dich angefleht: Bleib! Ich stand in Türrahmen und Hausfluren und habe an Dir gerüttelt. Die Angst, meine Familie zu verlieren, hat mich verrückt gemacht. Aber meine Töchter sind mir genauso geblieben wie Du. Wir sind immer noch eine Familie, auch wenn wir nicht mehr zusammenwohnen. Das Leben ist jetzt ein bisschen komplizierter, manchmal schmerzhaft, oft ein Glück. Ja, Glück. Und dafür möchte ich Dir danken. Wir haben zwei wunderbare Töchter. Sie sind schön und klug. Ich bin froh, dass Du ihre Mutter bist. Ich bin stolz auf Dich, auf die Mädchen, auf uns. Darauf, dass wir mit so wenigen Mitteln eine gute Zeit haben konnten. Wir haben beide studiert, die Kinder erzogen, waren immer pleite und nie verzweifelt. Unsere Freunde fragten oft: Wie schafft ihr das? Erinnerst Du Dich? Du hast die Frage weggewischt und behauptet, jeder hätte sein Päckchen zu tragen. Nein, Marie, unseres war wirklich schwer. Und ich wusste, ich würde zu Dir stehen und Du zu mir. Dabei konnte ich ein ziemlicher Wichtigtuer sein. Ich fand, dass ich meine Sache gut machte, dass ich jedes Bedürfnis im Blick hatte. Aber die Wasserkästen hast immer Du getragen. Den Einkauf auch. Und in den Urlaub sind wir nur gefahren, wenn Du ihn geplant und ein Auto organisiert hast. Einmal sind wir mit einem Pick-up nach Italien gefahren, unser Gepäck hatten wir auf die Ladefläche geschnürt. Lustig sah das aus – Du hast Dich geschämt. Ich glaube, Du fühltest Dich oft alleingelassen. Das tut mir leid.
Ich war besser im Kleinen. Der Kaffee morgens, das Frühstück, abends die Wärmflasche. Rituale, die ich vermisse. Ich war Dein Zuhörer, bin mit Dir eingetaucht in das, was Dich gerade beschäftigte. Wir sprechen dieselbe Sprache, teilen den Blick auf die Welt, haben eine gemeinsame Geschichte. Aber Deine Sehnsüchte waren andere als meine. Führ mich aus, hast Du gesagt, geh mit mir raus! Und ich wollte Deine Aufmerksamkeit nicht teilen, wollte Dich halten, allein, zu Hause. Irgendwann fühlte es sich nicht mehr richtig an, weder im Theater noch im Bett. Und dann bin ich doch ausgegangen, ohne Dich. Ich habe andere gehalten, Du auch. Wir haben uns verschwendet und sind langsam ausgeblutet. Das bedauere ich, es war ein schwerer Fehler. Nie haben wir darüber gesprochen, dabei konnten wir doch eigentlich über alles reden. Ich schämte mich.
Heute denke ich, vielleicht hätten wir unsere Beziehung retten können, wären wir nicht sprachlos gewesen. Stattdessen bist Du gegangen. Und in meiner Verzweiflung habe ich den Kindern gesagt, dass Du uns verlässt. Ich habe Dich schuldig gesprochen und das hat ihr Verhältnis zu Dir belastet. Auch das tut mir leid, Marie, denn es ist nicht wahr. In dem Film "Darjeeling Limited" von Wes Anderson bittet ein Mädchen ihren Ex-Freund, dass sie Freunde bleiben, und er antwortet: "I promise I’ll never gonna be your friend." Fand ich gut, der Typ hat recht. Ich habe mir geschworen, niemals Dein Freund zu werden.
Und heute, ein Jahr später, habe ich kapiert: Es ist neben den Kindern das Kostbarste, was uns verbindet. Nichts wünsche ich mir mehr als eine Freundschaft mit Dir. Eine Freundschaft, in der wir uns vielleicht treuer sein können, als wir das als Ehepaar sein konnten. Du wirst mir nicht gleichgültig werden. Nie werde ich Dich anschauen und mich wundern, wieso ich Dich begehrt habe. Nie werde ich das Gefühl los, Dich beschützen zu wollen. Ich habe mich gefragt, warum Du mich so sehr interessierst, während mich andere Frauen schnell langweilen. Das mag an unseren Gesprächen liegen. Vielleicht auch an der Distanz, die Du heimlich gewahrt hast. Die Nähe zu Dir musste ich mir immer wieder neu erobern. Einmal, als ich Dich besucht habe, bin ich über Deinen Balkon geklettert und sah Dich in ein Handtuch gewickelt in der Küche stehen. Wie schön Du bist, habe ich gedacht. Ich konnte Dich zum ersten Mal bewundern, ohne dass es mich schmerzte. Mein Verlangen nach Dir hat sich beruhigt. Das macht mich unbefangen, und ich glaube Dich auch. Vieles ist heute leichter, freier, weiter. Unsere Kinder leben in zwei Familien und lernen, großzügig zu sein, sich neu und anders zu binden. Sie erleben, dass Liebe unterschiedliche Formen annehmen kann und sehen ihre Eltern, die gut zueinander sind. Marie, Du hast Dir so oft gewünscht, dass ich Dich zum Essen ausführe. Jetzt werde ich diesem Wunsch nachkommen. Ich möchte Dich ab und an sehen und die Gespräche führen, die wir damals versäumt haben. Dir wieder für ein paar Stunden zuhören und teilhaben an Deinem Leben. Ich hoffe, dass wir uns so unterstützen, wie wir das seit der Schule gemacht haben. Denn das können wir, weißt Du? Ich liebe Dich.
Dein Tobias