Für immer und ewig – das war einmal. Was rettet die Liebe? Ein Plädoyer gegen die schnelle Trennung!
Zur Hochzeit trug Ronja ein Dirndl von Lena Hoschek, Matteo sah im Trachtenanzug und den "Chucks" von Converse umwerfend aus. Ronja lachte ihr Ronja-Lachen, selbstgewiss und ausgelassen. Und die Kleine, die damals drei Jahre alt war, konnte gar nicht anders, als an der Hand ihrer Mutter mitzulachen, wie sie es von Ronja gelernt hatte.
Für das Hochzeitsfoto posierte das Paar mit Tochter, Eltern und Freunden. Noch heute lässt sich an den Bildern die Selbstverständlichkeit ablesen, mit der Ronja und Matteo in die Ehe starteten: Wir wissen, sagten die kecken Blicke, dass wir nicht heiraten müssen – aber wir wollen. Wir pfeifen auf Traditionen, sagten die mit cooler Nachlässigkeit inszenierten Outfits – außer, sie machen uns Spaß. Muss richtig schön gewesen sein, damals auf der Feier, denkt man beim Betrachten der Bilder. Und: Schade, dass es mit den beiden nicht geklappt hat. Ronja und Matteo sind schon wieder geschieden. Dabei liegt die Märchenhochzeit gerade mal zwei Jahre zurück.
Paare schmeißen immer schneller hin. Die Haltbarkeit von Beziehungen nimmt immer weiter ab. Innerhalb von nur einer Generation wandelte sich die Trennung vom religiös geächteten, gesellschaftlich skandalisierten Endzeit-Szenario zum Normalfall. Fast 375 000 Ehen wurden 2013 in Deutschland geschlossen und circa 170 000 geschieden. Über die Zahl der Beziehungen ohne Trauschein weiß die Statistik nicht exakt Bescheid, nur über die Tendenz: steigend.
Das hat viele Gründe. Die Welt verändert sich radikal. Die Gesellschaft, in der Menschen einen Job und eine Familie hatten, gibt es nicht mehr. Wir leben im Zeitalter der seriellen Biografien: Wie man heute lebt, mit wem, wo und wovon, hat nicht notwendigerweise damit zu tun, wie man das morgen handhabt. So wie Job-Hopping die langjährige Betriebstreue ersetzt hat, wurde in der Liebe aus "für immer" mittlerweile "vorerst". Die Ewigkeit hat selbst als Fernpunkt romantischer Beziehungen ausgedient.
"Auch wenn sie in festen Händen sind, setzen viele Menschen die Partnersuche fort."
Die legendäre amerikanische Psychologin und Kolumnistin Joyce Brothers, Jahrgang 1927, sagte noch: "Mein Mann und ich haben nie über Scheidung nachgedacht. Über Mord vielleicht schon, über Scheidung nie." Das Zitat kursiert manchmal auf Facebook wie ein Foto von der Stadt München, als dort noch Gaslaternen brannten. Mord ja, Scheidung nein – wie haben die das damals bloß gemeint? Denn heute lauert hinter jeder Trennung nicht mehr der tiefe, schwarze Abgrund, sondern eine Ahnung neuen Lichts. Könnte ja sein, dass nach der großen Liebe die noch größere Liebe auf uns wartet. Dazu passt die Erkenntnis von amerikanischen Soziologen, die in einer Studie herausfanden: Auch wenn sie in festen Händen sind, setzen viele Menschen die Partnersuche fort.
Wie Ronja und Matteo. Er leistete sich eine Affäre, sie lernte einen Typen kennen, der ihrem Noch-Mann erstaunlich ähnlich sah (in dem Zusammenhang vielleicht spannend: Warum wir fremdgehen). Und während Matteos Freunde ihm gut zuredeten, zu seiner Familie zurückzukehren, setzte Ronjas Anwalt schon den Schriftsatz für die geplante Scheidung auf. Ein paar Wochen danach unternahm sie mit dem Neuen einen Ausflug nach Las Vegas und kehrte frisch verheiratet zurück.
Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann skizziert in ihrer Erzählung "Das dreißigste Jahr", wie sich die Vielzahl der Möglichkeiten, die man als junger Mensch vor sich sieht, um den dreißigsten Geburtstag dramatisch verringert. Gerade hatten wir noch die Wahl, alles und jeder zu werden. Und plötzlich sind wir nur wir selbst – festgelegt auf die Limitierung der eigenen Biografie. Diese Festlegung passt so gar nicht in unsere moderne Gesellschaft.
Wir haben gelernt, uns permanent zu verbessern. Wir sind Optimierer (oder, von der anderen Seite her gesehen, Gegenstand der Optimierungen anderer, also Optimierte, manchmal auch Wegoptimierte). Sätze, die aus der Management-Literatur stammen – "Du darfst jeden Fehler machen, aber keinen Fehler zweimal" –, schwappen aus der Ökonomie ins Privatleben hinüber. Wenn sich alles optimieren lässt, warum sollten wir uns mit einer Beziehung zufriedengeben, die funktioniert, aber nicht perfekt ist?
In den letzten zehn, zwanzig Jahren mussten wir lernen, flexibel zu sein und uns immer wieder neu zu erfinden. Mit derselben Haltung, mit der man den festen Job gegen die Existenz als Freiberufler eintauscht, um sich von Projekt zu Projekt zu hangeln, gehen wir an Beziehungen heran. Wir verlieben uns nicht mehr, sondern steuern in Partnerschaften konkrete Ergebnisse an: Hochzeit, Kind, Eigentumswohnung. Ist das Ziel erreicht, wird das Projekt abgeschlossen und durch ein neues ersetzt.
"Schuld ist "der flüchtige Zeitgeist", die Kultur der Kurzfristigkeit, in der man den Partner genauso schnell ersetzt wie das Auto zu Zeiten der Abwrackprämie."
Schuld ist "der flüchtige Zeitgeist", sagt der Heidelberger Psychologe und Paartherapeut Arnold Retzer – die Kultur der Kurzfristigkeit, in der man den Partner genauso schnell ersetzt wie das Auto zu Zeiten der Abwrackprämie. Das Ende einer Beziehung ist in diesem Zusammenhang kein unerwartetes, von einer höheren Macht bestimmtes Schicksal, sondern Logik – eine Möglichkeit, die man nicht unbedingt angestrebt, aber jederzeit einkalkuliert hat.
Der Traum von der ewigen Liebe hat dagegen einen schweren Stand. Dabei sehnen sich die Menschen nach dauerhafter Zweisamkeit. In Umfragen geben 90 Prozent der Deutschen eine erfüllte Beziehung als wichtigstes Lebensziel an. Klingt eigentlich ganz romantisch, doch das sind moderne Partnerschaften längst nicht mehr. Sie sind Allzweckwaffen im Dschungel wachsender Anforderungen. Sie sollen das Gefühl vermitteln, aufgehoben zu sein, emotionale Unterstützung garantieren, sexuelle Erfüllung gewährleisten. Es geht um Nachwuchs, um finanzielle Absicherung und darum, seinen Stand in der Gesellschaft zu verbessern - schon wieder das Optimierungsmotiv.
Der permanente Verbesserungsanspruch kollidiert mit dem zweiten Leitbild dieser Zeit: der Freiheit, sich selbst zu verwirklichen, in der Hoffnung, dadurch glücklich zu werden. "Hör auf deine innere Stimme" ist nicht nur ein Slogan der Selbstfindungsliteratur, sondern auch Sprengsatz für das pragmatische Miteinander, das wir inzwischen pflegen. Der Zürcher Paartherapeut Klaus Heer liefert dazu das schöne Bonmot, dass die Liebe monogam sei, der Mensch hingegen nicht. 75 Prozent der Frauen und 90 Prozent der Männer gehen irgendwann im Lauf ihres Beziehungslebens fremd. Selbst in noch so aufgeschlossenen Partnerschaften sorgt Untreue für Krisen oder ein abruptes Ende. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Weil inzwischen so viele Frauen und Männer dem Drang nachgeben, sich selbst zu verwirklichen, gibt es immer mehr Menschen, die bereit sind für eine neue Beziehung. Für ein neues Projekt. Für einen neuen, besseren Lebensabschnitt – in den sich dann doch wieder das alte Muster einschleicht.
"Ist das den Trennungsstress wert?"
Ist das den Trennungsstress wert? Nein, sagt Paartherapeut Arnold Retzer. "Es lohnt sich, auch in schwierigeren Zeiten zusammenzubleiben. Einen Besseren finden Sie vermutlich nicht." Weil sich in jeder Beziehung irgendwann Frust, Langeweile und Enttäuschung breitmachen. Retzer spricht von "resignativer Reife".
Einer von Retzers Kollegen, der amerikanische Paarforscher John Gottman, forscht schon sein halbes Leben, was Paare zusammenbleiben lässt. In Studien stellte er fest: Den anderen so akzeptieren, wie er ist, statt ihn und die Beziehung ständig verbessern zu wollen, ist das ganze Geheimnis. Humor, Respekt und die Bereitschaft, die Dinge laufen zu lassen, wenn’s gar nicht läuft, helfen dabei.
Klingt schrecklich antiquiert. Ist aber gerade deshalb ein wirksames Mittel gegen den modernen Trennungswahn.