Warum sprechen wir nicht über Schmerzen? Zwischen 0.4% und 6.8% aller Frauen sind von Vaginismus in verschiedensten Formen betroffen. Und das besagt nur die offizielle Quote bestehend aus denen, die tatsächlich darüber sprechen. Sie sind in Behandlung wegen starker Schmerzen und Schwierigkeiten beim vaginalem Einführen. Wie viele gibt es noch, die sich aus Scham, Angst oder gar Schuldzuweisung nicht helfen lassen?
Wir wollen das Thema Vaginismus hier besprechen und selbst Betroffene sowie Partner*innen ermutigen, den Scheidenkrampf zu behandeln, zu lindern und zu heilen. Denn ja, Vaginismus kann man behandeln. Man kann eine Beziehung führen und ein gesundes Sexleben haben.
Hier wollen wir die wichtigsten Fragen klären. Was ist eigentlich Vaginismus? Welche Ursachen lösen den Scheidenkrampf aus? Was kann man tun, um Vaginismus zu behandeln? Wo findet man Hilfe?
Vaginismus ist keine Krankheit, aber eine sehr schmerzhafte sexuelle Funktionsstörung, die bei Personen mit Vagina auftreten kann. Beim Versuch etwas in die Vagina einzuführen, zieht diese sich schmerzhaft zusammen und verkrampft. Daher spricht man auch häufig von Scheidenkrampf. Sex, der Versuch ein Tampon während der Periode einzuführen oder die Untersuchung bei Gynäkolog*innen, dies alles scheint unmöglich mit der sexuellen Funktionsstörung Vaginismus. In schweren Fällen reicht allein der Gedanke an das Einführen aus und Scheiden- und Beckenbodenmuskulatur ziehen sich krampfartig zusammen.
Man kann zwei Formen von Vaginismus unterscheiden - je nachdem, wann der Scheidenkrampf einsetzt:
Beim primären Vaginismus krampft sich die Scheidenmuskulatur schon beim allerersten Geschlechtsverkehr zusammen. Die Funktionsstörung und die Schmerzen sind angeboren.
Beim sekundären Vaginismus war das Eindringen in die Vagina ursprünglich schmerzfrei möglich. Nach einem traumatischen Ereignis wie sexueller Missbrauch oder einem Geburtstrauma entwickelt sich die Funktionsstörung und Scheidenkrämpfe treten auf.
Parallel dazu tritt häufig auch Vulvodynie auf. Hierbei treten Schmerzen an den Vulvalippen und der Klitoris auf. Betroffene berichten bei der Vulvodynie oft davon, dass sich diese so anfühle, als würden sie mit elektrischen Stromstößen oder Nadelstichen traktiert.
Disclaimer: Wir sprechen in diesem Artikel im Zusammenhang mit Vaginismus oft von „Frauen“. Gemeint sind aber grundsätzliche alle Personen mit Vulva / Vagina. Denn leider ist der Vaginismus ein Problem, das auch bei nicht-binären-, trans*- und inter* Personen und nicht nur bei Cis-Frauen auftauchen kann.
Vaginismus kann sich unterschiedlich schwer ausgeprägt durch verschiedene Symptome äußern. Manche Frauen erleben die Krämpfe unter Stresssituationen, andere leiden immer unter Schmerzen, wenn die Vulva berührt wird. Dann spricht man von totalem Vaginismus.
Wer bei Kontakt mit der Vagina schmerzhafte Krämpfe im Beckenboden und der Vaginalmuskulatur verspürt, der ist von Vaginismus betroffen. Darüber hinaus erkennt man die Funktionsstörung daran, dass die Krämpfe sich nicht kontrollieren lassen. Etwas in die Vagina einzuführen, sei es ein Penis, der Finger, oder Tampons ist gar nicht möglich. Betroffene meiden Geschlechtsverkehr genauso wie Untersuchungen bei Gynäkolog*innen.
Schließlich gesellen sich zu den körperlichen Beschwerden oft auch Ängste, Minderwertigkeitsgefühle, Zweifel an der eigenen Weiblichkeit und Schuldgefühle gegenüber dem oder der Partner*in.
Organische Ursachen wie Infektionen können für den Scheidenkrampf ausgeschlossen werden. Allerdings kann es vorkommen, dass der Eingang zur Vagina bei manchen Frauen etwas enger gewachsen ist und durch erste problematische sexuelle Erfahrungen eine Angst vor weiterem Kontakt entsteht. Derartig angstbelastete Vorstellungen von der Größe und Dehnbarkeit der Vagina, oder auch vom Penisumfang können Schmerzen und weitere Ängste auslösen.
In anderen Fällen können Beziehungsprobleme, Stress, Druck oder Ablehnung die sexuelle Funktionsstörung auslösen. Auch traumatisierende Erlebnisse sind häufig der Ursprung. Häufig sind Opfer von sexualisierter Gewalt und Übergriffen betroffen. Aber auch andere einschneidende Erfahrungen und Erlebnisse, zum Beispiel während einer schmerzhaften gynäkologischen Untersuchung, führen zu Ängsten und Krämpfen.
Es gibt schließlich auch Fälle, die kein konkretes traumatisches Erlebnis benennen können. Dann sind unterbewusst wahrgenommene oder sogar vermeintlich unwichtige Erlebnisse die Ursache.
Komplizierte Geburten sind auch ein häufiger Auslöser für das Trauma, das Vaginismus bedingt. Neben den seelischen Narben, bleiben oft auch Narben im Intimbereich zurück, die Schmerzen auslösen. Danach entsteht die typische Spirale aus Ängsten und Schmerzen, die zu wiederkehrenden Scheidenkrämpfen führen.
Schließlich kann auch die Hormonumstellung während der Wechseljahre zu Schmerzen führen. Mit der Umstellung trocknet die Vagina aus und Sex kann plötzlich unangenehm und schmerzhaft werden. Hier haben die psychischen Folgen ihren Ursprung.
Wer beim Geschlechtsverkehr, beim Berühren der Vagina, oder allein beim Gedanken an Kontakt Schmerzen in der Vagina verspürt, sollte dringend Hilfe in Anspruch nehmen. Die Behandlung erfolgt in gynäkologischen Praxen, durch spezialisierte Sexualmediziner*innen oder Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen. Allerdings kann auch ein*e Allgemeinmediziner*in ein*e erste*r Ansprechpartner*in sein.
Die körperlichen und organischen Gegebenheiten werden genauso untersucht wie alle möglichen psychischen Ursachen. Dies erfordert ein offenes und ehrliches Gespräch und eine stabile Vertrauensbasis. Patient*innen müssen sich öffnen können, um über ihre Sexualität, ihre Beziehung und über Traumata sprechen zu können.
Die körperliche Untersuchung erfordert genauso viel Vertrauen vonseiten der Patient*innen und Vorsicht vonseiten der behandelnden Person. Die Untersuchung soll schmerzfrei bleiben.
Der erste Schritt zur Besserung lautet: Darüber sprechen. Der oder die allererste Ansprechpartner*in muss nicht unbedingt ein Arzt oder eine Ärztin und auch nicht der oder die Sexualpartner*in sein. Eine Vertrauensperson, die zuhört und hilft Ängste und Zweifel zu lösen, ist für den Anfang perfekt. Dies kann die Mutter, die beste Freundin, die Schwester oder der Bruder sein.
Auch, wenn es zu diesem Zeitpunkt noch beängstigend erscheinen mag, steht als nächster Step die Untersuchung und Diagnose in einer gynäkologischen Praxis an. Hier ist es wichtig, genau zu kommunizieren, was möglich ist, wie weit die Untersuchung gehen kann und wodurch Schmerzen ausgelöst werden. Es gibt Methoden, die Vagina besonders schonend zu untersuchen, sodass man sich ein Bild machen kann, ohne Schmerzen bei Patient*innen auszulösen. Der Zustand der Schleimhäute und die Größe des Scheideneingangs kann auch ohne Berührung gecheckt werden. Außerdem werden die psychischen Hintergründe besprochen.
Je nach Diagnose und Ausprägung der Funktionsstörung kann man nun verschiedene Behandlungsmethoden einsetzen.
Die mit dem Scheidenkrampf einhergehenden Ängste, der Druck oder Schuldgefühle können unter psychologischer Betreuung therapiert werden. Gerade Ursachen und Traumata, die im Unterbewusstsein liegen, können erst aufgearbeitet werden, wenn sie erkannt und benannt werden können.
Während einer Sexualtherapie lernen Patient*innen ihre Vagina und ihren Körper kennen, sie bauen eine gesunde Beziehung zu den eigenen Geschlechtsorganen auf und setzen sich in einer sicheren Umgebung ihrem Körper auseinander. Das Selbstwertgefühl und die Körperwahrnehmung werden gestärkt. Der oder die Sexualpartner*in können in die Therapie miteinbezogen werden.
Spezialisierte Physiotherapeut*innen können helfen, die Verspannungen im Beckenboden zu lösen. Regelmäßige Sitzungen und Übungen für zuhause helfen dabei, die Scheidenkrämpfe kontrollieren zu können. Osteopath*innen lösen Blockaden und behandeln verhärtete Narben und verspanntes Gewebe. Auch sie können in regelmäßigen Sitzungen die Krämpfe lindern.
Nur seltenen kommen Medikamente zum Einsatz. Aber manchmal sind Muskelrelaxantien, also Wirkstoffe, die Verkrampfungen lösen sollen, notwendig, um die Schmerzen zumindest vorerst zu lindern.
Häufig sind leichte Schmerzen auch auf trockene Schleimhäute zurückzuführen und lassen sich mit (östrogenhaltigen) Salben oder Feuchtigkeitscremes lindern. In diesem Fall hilft außerdem viel trinken und das langsame Herantasten an intime Berührung und Sex.
Sich selbst berühren, erscheint manchen Frauen unmöglich. Doch mit der eigenen Vagina vertraut werden hilft, um Ängste und Druck zu überwinden. Den eigenen Intimbereich im Spiegel betrachten und ganz vorsichtig selbst erforschen, unterstützt ein besseres Selbstbild.
Beckenbodentraining für Zuhause ist gerade begleitend zu einer Therapie bei Physiotherapeut*innen oder Osteopath*innen sehr effektiv. Die einfachen Übungen lassen sich gut in den Alltag integrieren. So kann man die Beckenbodenmuskulatur immer wieder bewusst anspannen und wieder lockerlassen. Im Sitzen, im Gehen oder Liegen, aber gerade, wenn der Körper angestrengt ist, kann man sich bewusst auf den Beckenboden konzentrieren.
Entspannungsübungen lösen nicht nur verkrampfte Muskeln, sondern sollen auch mentale Blockaden, emotionalen Stress und innere Anspannung lindern. Angeleitete Atemübungen, Meditation oder sogenannte progressive Muskelentspannung kann man mit Hilfe von Profis auch Zuhause ausführen.
Mit der Zeit mag man schließlich so weit sein, dass man versuchen kann etwas in die Vagina einzuführen. Das kann beim ersten Versuch der eigene Finger sein oder ein Tampon. Mit steigender Sicherheit kann man sich langsam vortasten, dünne Dildos ausprobieren und später zu etwas größeren wechseln. Gleitgel hilft dabei. So wird die Vagina ganz langsam gedehnt und Step by Step an das Einführen gewöhnt.
Es gibt auch speziell für das Üben Zuhause vorgesehene Vaginaldilatoren in unterschiedlichen Größen. So kann man sich selbstständig und langsam an die Erfahrung herantasten, sodass das Einführen ohne Schmerzen möglich ist.
Schließlich sind Frauen, die ihre Krämpfe langsam überwunden haben so weit, dass sie masturbieren können. Und das ist äußerst ratsam. Man lernt seine Vagina noch besser kennen, entspannt die Beckenmuskulatur, hält die Schleimhäute geschmeidig und hat Spaß dabei.
Von dem ersten Aufkommen der Schmerzen bis hin zu den zaghaften Versuchen, nach der Behandlung wieder Sex mit dem oder der Partner*in zu haben ist ein Punkt besonders wichtig: Reden. Indem Frauen kommunizieren, dass sie Schmerzen haben, klare Grenzen setzen, wie weit sie gehen können und beschreiben, wie sie sich dabei fühlen, vermeidet man den weiter oben beschriebenen Teufelskreis, der zu mehr Angst, mehr Schmerzen, Druck und Schuldgefühlen führt.
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