Unser Kolumnist hat ein Problem: Er ist Konsum-Enthusiast und liebt große Geschenke. Seine Freundin bastelt leider gerne. Ist Weihnachten in Gefahr?
Es ist kurz vor Weihnachten, ich stehe im Flur und ein Geruch wabert mir entgegen durch die halb offene Tür des Arbeitszimmers, der Geruch von Klebstoff und Pappe. Und ich kann sie sehen, die vollgestopfte Plastiktüte, aus der Rollen mit Glanzpapier herausragen. Wie die verbogenen Schornsteine einer Spielzeugfabrik aus dem DDR-Kinderfernsehen. Die Basteltüte meiner Freundin.
Ich habe einen Weihnachts-Spleen. Wenn Sie mir das nicht glauben, klingeln Sie bitte in Bielefeld bei Helga Pijahn und lassen Sie sich die Weihnachtsfotos unserer Familie aus den 70er- und 80er-Jahren zeigen. Darauf zu sehen: ich. Ein Kind mit ekstatischem Achterbahnfahrer-Gesicht, das sein Weihnachtsgeschenk fest umklammert hält. Carrera-Bahn, Plastik-Armbrust, Doppelkassettendeck-Kompaktanlage. Ich sehe aus, als hätte ich gerade tschakka gerufen. Es gibt Fotos von mir in einem Winnetou-Kostüm, das ich Weihnachten 1984 bekommen habe und laut meiner Mutter bis weit in den Januar jeden Tag getragen habe – was für einen Elfjährigen haarscharf an der Persönlichkeitsstörung entlangschrammt.
Ich liebe Weihnachten. Und ich liebe große Geschenke. Aber in meinem politisch korrekten Kreuzberger Freundeskreis ist Schenken passé. Es wird als evolutionäre Zwischenstufe gesehen, aus der man herauszuwachsen hat – eine Marotte, die man ablegt wie Nasenbohren oder Rauchen.
Die einzig wirklich akzeptierten Geschenke sind Patenschaften für Tiere, für Kinder aus einer harten Gegend (wogegen man natürlich in zehntausend Jahren nix sagen kann) – und Dinge, die man selbst gebastelt hat. Es ist grauenvoll.
Für meine Freundin gilt, was für den Weihnachtsbastler im Allgemeinen gilt. Er hat letztlich keine Idee, was er einem schenken soll. Er hat eine träge Seele und kein Interesse, sich in die Wunschwelten anderer einzufühlen. Die Frage „Oh, wird sich mein Partner wohl über handbemalte Nudelteller oder mit Fingerfarbe betatschte Duschvorhänge freuen?“ ist ihm fremd.
Was also tun? Um Weihnachten nicht leer auszugehen, gebe ich meiner Freundin ab Anfang Oktober Hinweise, lobe an Männern in meinem Umfeld gut sitzende Pullunder und sage Sätze wie „Schöner Pullunder, Bordeaux, das würde mir sicher auch stehen.“ Ich habe sogar die Anekdote mit dem Winnetou-Kostüm erzählt. Meine Freundin hört so was nicht. Sie ist im Bastelrausch. Sie hat ein Herz aus Filz. In einem Gemütszustand von latenter Pampigkeit habe ich das Weihnachtsgeschenk für meine Freundin besorgt. Einen dunkelblauen Alpaka-Poncho, der aussieht, als hätte Jackie Onassis ihn beim Weihnachts-Shopping in Paris getragen. Tatsächlich habe ich das teuerste Modell gekauft, um den Unterschied zwischen meinem geschmackvollen Supergeschenk und ihrer Bastelarbeit besonders deutlich zu machen, was mir nicht gerade Punkte auf der großen Karma-Liste bringt. Mein in mir angelegtes Wettbewerbs- und Klugscheißer-Gen hat leider auch während der Feiertage nie frei.
Nachdem meine Freundin ihr Geschenk ausgepackt hatte, habe ich mein Paket bekommen. Ein perfekt sitzender Pullunder, tschakka, und im zweiten Paket... „Davon hattest du mal erzählt“, sagt meine Freundin. Ein selbst gebastelter Holzrahmen mit Foto. So was kann man nur zu Weihnachten bringen. Und auf solche Ideen kommen nur Frauen. „Hat mir deine Mutter rausgesucht.“
Ich bin auf dem Foto elf Jahre alt und habe ein Winnetou-Kostüm an. Es ist kitschig, es ist viel zu viel, es ist Weihnachten. Alles ist erleuchtet.