Unser Autor fragt sich: Wieso verschenkt eigentlich jeder nur noch Gutscheine für waghalsige Freizeittrips oder komplizierte Wellness-Behandlungen – die nie eingelöst werden?
„Herzlichen Glückwunsch! Das ist für dich!“ Ich stehe mit meinem großen Bruder, der aus Bielefeld gekommen ist, in meiner Hamburger Wohnung. Gleich bekomme ich mein Geburtstagsgeschenk. Die Vorfreude hüpft in mir auf und ab wie ein Flummi auf Kokain. Ich sehe die Hand meines Bruders, die etwas hinter seinem Rücken hervorzieht. Ein Pullunder? Ein Luftgewehr mit Zielfernrohr? (Wollte ich als Kind immer haben.) Und dann: ein Gutschein – für einen Wochenend-Paddelkurs auf einem See bei Bielefeld. „Gleich im Oktober, was sagst du?“ Paddeln im Oktober. Der Geruch von nassen Regenmänteln zieht durch den Raum.
Ich weiß gar nicht mehr, wann es angefangen hat. Aber in meinem Freundes- und Familienkreis werden nur noch Gutscheine verschenkt. Für Knochenbrecher-Freizeitevents, bei denen man mindestens einen Sturzhelm braucht. Oder komplizierte Wellness-Behandlungen an abgelegenen ostdeutschen Seen, die immer nach Reha und indischem Durchknete-Krankenhaus klingen. Es ist lange her, dass ich so
was wie eine CD bekommen habe oder ein Buch.
Und dabei bin ich Teil des Problems. Auch ich verschenke seit einiger Zeit Dinge wie Städtereisen. Es fühlt sich an, als sei man der kreative Adrenalin-Animateur im Leben der anderen. Derjenige, der den faulen Touristen von der Sonnenliege schubst. Außerdem, was soll man Freunden schenken, die schon alles haben? Meine Mutter bekommt Wochenend-Gutscheine für Berlin oder Hamburg, meist in Kombination mit dem Besuch einer avantgardistischen Kunstveranstaltung, die ihr ein bisschen Landleben aus dem Lodenmantel blasen soll. Malunterricht habe ich auch schon verschenkt, ein Kochseminar, Spanischkurse. Wer von mir bedacht wird, hat richtig zu tun und kann etliche Wochenenden im Kalender blocken.
Das klingt stressig, fast so, als würden meine Freunde, meine Familie und ich entweder permanent massiert werden, auf Kultururlaub sein oder mit sieben Dosen Red Bull im Blut kreischend aus Flugzeugen springen. Doch das ist nicht der Fall – niemand löst die Gutscheine je ein. Ich klebe die, die ich geschenkt bekommen habe, mit Magneten am Kühlschrank fest, wo sie wie ein Freizeitmemory hängen, wie eine To-do-Liste, deren Bestandteile erst verblassen und irgendwann abfallen. Go-kartfahren in Hamburg. Je länger der Gutschein dort hängt, desto weniger Lust habe ich. Letzte Woche wanderte der Kletterwand-Schnupperkurs, den ich entweder von meinen Bürokollegen oder der Mutter meiner Freundin bekommen habe, in den Müll.
Mein Freund Felix, der bei mir noch einen Gutschein für „Bowling in Berlin“ offen hat, sagt, dass er letztlich am Wochenende zu platt sei, um irgendwo hinzugehen, und jetzt im Herbst könne man auch mal zu Hause bleiben. Er wolle nach der Arbeitswoche eine DVD gucken und sich ein Glas Pesto über die Spaghetti gießen, mehr nicht. Ich dürfte dabei gern mitmachen. Das klingt beschämend unambitioniert. Und gleichzeitig verlockend.
Ich habe mit meinem Bruder vereinbart, dass er den Paddel-Gutschein erst mal behalten darf. Da wir uns sehr selten sehen, hat er versprochen, mir stattdessen ein Foto von sich zu schenken, das jetzt in meiner Küche hängt. Wenn ich am Wochenende das Pesto-Glas aus dem Kühlschrank hole, guckt er mir dabei über die Schulter.